Mittwoch, Mai 16, 2007

Versammlungsfreiheit für Fuckparade

Vermisst hier jemand das Forderungsausrufzeichen? Wurden die gerade alle beim Schreiben von Gipfelblockade-Aufrufen verbraucht? Nein, sie sind nicht mehr notwendig. Denn das Bundesverwaltungsgericht hat mit Urteil vom 16. Mai 2007 entschieden, dass der Polizeipräsident in Berlin die Fuckparade 2001 als Versammlung im Sinne des Versammlungsgesetzes und damit im Sinne des Grundgesetzes hätte behandeln müssen (Aktenzeichen: BVerwG 6 C 23.06).

Der Kläger meldete für den 14. Juli 2001 einen Sternmarsch als Gegendemonstration zur Berliner Love Parade an. Gerechnet wurde mit etwa 10 000 Teilnehmern, die von 40 bis 50 Lautsprecherwagen begleitet werden sollten. Von den Lautsprecherwagen sollten DJs "Techno-Musik unterschiedlicher Stile" spielen. Während der Veranstaltung sollten Tausende von Handzetteln verteilt werden, die „Keine Zensur durch Kommerz“, „Love Parade raus aus dem Tiergarten“, „Leben statt Hauptstadtwahn“ und „Keine Party ist illegal“ als Forderungen enthielten und sie näher begründeten. Insbesondere sollte sich die Veranstaltung gegen die Verdrängung von Anhängern bestimmter Techno-Musikstile aus den angestammten Stadtgebieten, gegen die Schließung von Clubs und die Auflösung von Partys sowie gegen die kommerzialisierte „Love Parade“ als „Pseudo-Demo“ richten. Auf den auf dem Sternmarsch mitgeführten Lastkraftwagen sollten Banner angebracht werden, die auf die Forderungen der Veranstaltung hinweisen sollten. Auf der Homepage des Klägers wurden diese Anliegen dargelegt und begründet. Auf Veranlassung des Klägers und unter Hinweis auf die "Fuckparade" fand eine Podiumsveranstaltung u.a. mit Politikern zu dem Thema „Wie wichtig sind Sub- und Clubkultur für eine lebenswerte Stadt“ statt.

Der Polizeipräsident in Berlin teilte dem Kläger mit, dass die angemeldete Veranstaltung nicht die Voraussetzungen einer Versammlung erfülle, weil sich die Rolle der Teilnehmer auf das Zuhören und Tanzen beschränke und das Verteilen der Handzettel und die Spruchbänder der Veranstaltung nicht das entscheidende Gepräge verleihen würden. Dem sind das von dem Kläger angerufene Verwaltungsgericht und Oberverwaltungsgericht Berlin gefolgt.

Das Bundesverwaltungsgericht ist dem entgegengetreten. Nach seiner Ansicht war die Fuckparade als Versammlung zu behandeln, weil nicht zweifelsfrei auszuschließen sei, dass die Veranstaltung mit Blick auf ihr Gesamtgepräge für einen Außenstehenden erkennbar auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichtet war. Bei der Beurteilung des Gesamtgepräges einer Veranstaltung seien mit Blick auf die besondere Bedeutung des Grundrechts der Versammlungsfreiheit im Wege einer Gesamtschau alle maßgeblichen Gesichtspunkte mit der ihnen zukommenden Bedeutung zu berücksichtigen. Dem habe das Oberverwaltungsgericht nicht ausreichend Rechnung getragen. Es hat mehrere relevante Umstände unberücksichtigt gelassen. Nach der vom Bundesverwaltungsgericht angestellten eigenständigen Beurteilung des Gesamtgepräges der Veranstaltung war diese als Versammlung zu behandeln. Dafür, dass die Veranstaltung erkennbar auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichtet sein sollte, sprächen insbesondere die Handzettel, auf denen die Forderungen der Veranstaltung wiedergegeben und näher beschrieben wurden, und die beabsichtigte Wiedergabe der Forderungen auf den an den Lastkraftwagen befestigten Bannern. Von Bedeutung hielt das Bundesverwaltungsgericht auch den Internetauftritt des Klägers, in dem die Forderungen der Veranstaltung ausführlich dargelegt und begründet wurden, und die von dem Kläger initiierte Podiumsdiskussion. Angesichts dieser zahlreichen aussagekräftigen Umstände, die für eine Versammlung sprechen, könne nicht angenommen werden, dass die auf Musik, Tanz und Unterhaltung gerichteten Elemente der Veranstaltung im Vordergrund gestanden hätten.

Quelle: Pressemitteilung des BVerwG

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