Mittwoch, September 19, 2007

Gelebte Misanthropie. Berichte aus der Staatsanwaltschaftsstation - I

Ouverture (Moderato)

Vorbei! Ich habe die staatsanwaltschaftsstation im referendariat überlebt. Hm, ja, gut, das war vorherzusehen, das mit dem überleben. Und es gibt mit sicherheit leute, die stärker unter der staatsanwaltschaft leiden als referendarInnen, zum beispiel die größtenteils aus „bildungsfernen schichten“ stammenden angeklagten – ob sie nun im knast landen oder einfach nur in einem für sie völlig unverständlichen verfahren, in dem sie sich nicht artikulieren können, zum gegenstand abgehobener machtansprüche gemacht werden. Aber auch dieses menschlich ignorante prozedere einfach mitansehen zu müssen, war nicht leicht, geschweige denn sich permanent zu überlegen, wann wo wem gegenüber wieviel kritik sinnvoll 'rübergebracht werden kann. Denn einfach den kopf einziehen und so unauffällig wie möglich durchkommen, das konnte ich mir nicht vorstellen, und vor allem wollte ich mich selbst auch nicht zu dieser art gehorsamen mitspielens erziehen. Im ergebnis habe ich jetzt ein erfreuliches „Mangelhaft“ in meinem stationszeugnis. Nö, das finde ich nicht schlimm. Ich lasse es mir gerne offiziell bestätigen, daß ich für diesen grundlegend autoritär-menschenunfreundlichen job wenig geeignet bin, soviel selbstzufriedenheit sei mir erlaubt. Bei all der frustration, die diese arbeitsstelle bedeutete.

Die dazugehörige entstehungsgeschichte und sonstige anekdötchen kommen ab jetzt hier, als retrospektive.


I - Wie alles anfing (Andante)

Die ausgangsbedingungen waren eigentlich gut: Ich hatte mir von einer linken rechtsanwältin eine „nette“ staatsanwältin als persönliche ausbilderin empfehlen lassen, und Frau H. entpuppte sich tatsächlich beim ersten treffen als eine recht angenehme, nicht konservativ-autoritäre person. Und mit dem Sappho-poster an der wand outete sie sich auch als emanze oder schlimmeres. Mein AG-leiter, oberstaatsanwalt XY., schien auch sehr okay und locker zu sein und sogar grenzen der legitimen staatsanwaltlichen machtausübung zu kennen. So jedenfalls mein flüchtiger eindruck aus der ersten AG-sitzung, in der er sich u.a. entschieden gegen die kronzeugenregelung aussprach. Danach ging es für mich ja erstmal nach Heiligendamm zum G8-gipfel bzw. zum protest dagegen. Zurückgekommen fragten mich meine AG-kollegInnen, denen ich vom grund meiner abwesenheit erzählt hatte, wie ich das mit der anwesenheitspflicht während des einführungskurses gemacht hätte, ob ich sonderurlaub beantragt hätte oder was. Auf meine antwort, ich hätte halt einfach unentschuldigt gefehlt (urlaub nehmen kann mensch nicht während der einführungskurse), sagten mir mehrere, daß S. das bestimmt nicht so eng sehen würde und ich doch bei ihm nachfragen solle, ob ich mich in der anwesenheitsliste nachtragen könne. Lustige idee, das. Ich hatte ja tatsächlich schon bei der ersten sitzung – als er angedeutet hatte, daß er die anwesenheitslisten nicht so penibel führen würde – kurz überlegt, ob ich mich traue. Aber: im einführungslehrgang, und dann gleich vier AG-termine! Und überhaupt: G8-protest. Ich kann doch dem oberstaatsanwalt nicht von meinen dubiosen politischen aktivitäten berichten! Naja, nach ansicht meiner AG-kollegInnen vielleicht doch. Und allein weil ich über diese einschätzung so verblüfft war und es spannend fand, an den eigenen feindbildern zu rütteln, wollte ich es probieren. Hab' ihm also gemailt, so von wegen „Wahrnehmung meiner staatsbürgerlichen Rechte“ und so. Seine reaktion darauf war den versuch tatsächlich wert: Er fragte nämlich, warum ich das denn nicht vorher gleich gesagt hätte, er hätte doch hinreichend deutlich gemacht, daß ihm die anwesenheitspflicht eher egal sei. „Sie sind ja schließlich alle erwachsene Menschen.“ Aber leider war die anwesenheitsliste schon wieder beim Kammergericht. „Und ob Sie da dann hehre Ziele hatten oder nicht, ist mir im Zweifelsfall auch egal.“ Es wirkte ernst gemeint.

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