Gelebte Misanthropie. Berichte aus der Staatsanwaltschaftsstation - III
Es wird ernst - aber nur ein bißchen. [Allegretto]
Die erste sitzungsvertretung. Hm. Es ist ja sowieso und überhaupt äußerst widerwärtig, staatsanwältin spielen zu müssen. Aber dann ausgerechnet bei einem kleinen sozialhilfebetrug?
So ganz frisch in der robe habe ich mir fast gar nix an nonkonformem verhalten getraut. Ist halt sehr aufregend, autorität sein zu müssen. Und mit diesem mechanismus - die situation nicht zu kennen, sich unsicher zu fühlen und trotzdem wichtig zu sein - werden referendarInnen in der sitzungsvertretung auch strukturell zu obrigkeitshörigkeit und zum funktionieren erzogen, scheint mir. Denn mensch ist so sehr mit sich selbst beschäftigt, daß jegliche kritische perspektive - zum beispiel was die angeklagten von dem ganzen verfahren und dem gerede überhaupt verstehen können - fast nur untergehen kann. Und in einer situation der unsicherheit reagiert mensch natürlich eher über. In dem leitfaden der staatsanwaltschaft für sitzungsvertretung wird dann auch darauf hingewiesen, daß referendarInnen oft zu besonders harten einschätzungen und formulierungen tendieren, und daß mensch sich da gelegentlich überprüfen möge. Also, wenn das selbst der staatsanwaltschaft auffällt!
Nun denn, der vorsatz der angeklagten – genauer: das wissen, daß ein einmaliger 200- Euro-verdienst des ehemannes und der vorübergehende aufenthalt zweier verwandter im haushalt beim JobCenter angezeigt werden müssen, da sich dadurch die höhe des ALG II verändern könnte – war zwar meiner meinung nach nicht wirklich erwiesen, aber der richter war überzeugt. In der kurzen verhandlungspause vor meinem schlußplädoyer (darin wird der eigentliche staatsanwaltliche schlußantrag formuliert, also entweder freispruch oder eine bestimmte strafhöhe) war er so nett, mich auf seine schon feststehende entscheidung hinzuweisen: „Wollen Sie wissen, was ich daraus mache?“ Na gut, das ist schon okay, als referendarInnen sollten wir wirklich noch keinen einfluß haben. Aber ein bißchen demotivierend war's trotzdem, sodaß ich mich dann auch nicht mehr dazu entscheiden konnte, auf freispruch zu plädieren, sondern versuchte, lieber einen niedrigen tagessatz zu bekommen. Hat auch nicht geklappt. Sehr unschön. Das einzig „rebellische“ war, daß ich bei meinem schlußvortrag nicht aufgestanden bin. Ich kann dieses autoritäre gehabe echt nicht leiden. Nach der verhandlung hielt es der richter dann auch für notwendig, mich darauf aufmerksam zu machen, daß man ja eigentlich aufstehe. Nun, ich wies ihn darauf hin, daß ich von dieser üblichkeit wüßte, aber auch davon, daß es nicht gesetzlich vorgeschrieben ist. Außerdem wollte ich noch herausfinden, weshalb er mir das gesagt hat, wofür das aufstehen wichtig sei, ob es für irgendjemanden etwas bedeuten würde. Seine reaktion: „Nein, das ist mir egal. Das ist auch jedem anderen richter egal.“ – „Ja, aber wieso haben Sie es mir denn dann gesagt?“ – „Weil mir das in 25 Jahren das erste mal passiert!“ Okay, also zumindest ein kleines bißchen irritation. Aber insgesamt habe ich mich ganz schön mies gefühlt.
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