Dienstag, November 29, 2011

Vorläufiger Bericht vom Sonntag, 27.11.2011 (Hitzacker)


Am Sonntag, den 27.11.2011, konzentrierte sich die Demobeobachtung des arbeitskreises kritischer juristinnen und juristen von der Humboldt-Uni Berlin auf die Dokumentation der polizeilichen Maßnahmen anlässlich der Gleisblockaden in Hitzacker. Bereits in der Nacht zum Sonntag waren die Beobachter_innen bei der Räumung der Schienenblockade in Harlingen präsent; die Schilderungen und Bewertungen zu diesem Einsatz sind jedoch im vorläufigen Beobachtungsbericht vom Samstag enthalten.

Bereits im Laufe des Nachmittages gab es kleine Gruppen von Protestierenden, die versuchten auf die Gleise zu gelangen oder Blockaden zu errichten. Die Beobachtungen gingen hier stark auseinander und es ist derzeit schwierig, einen Gesamteindruck zu formulieren. Beobachtet wurde sowohl wie Polizisten Steine auf Demonstrant_innen warfen als auch dass Beamt_innen Ortsfremden den schnellsten Weg zur Blockade beschrieben.


Blockade in Hitzacker

Die Arbeit der Demobeobachter_innen in Hitzacker wurde dadurch erschwert, dass sie von der Polizei nicht zur Versammlung durchgelassen wurden und es ihnen nur über Umwege gelang, sich Zugang zur Blockade zu verschaffen. An einer Polizeisperre behaupteten die Einsatzkräfte sogar, es gäbe gar keine Gleisblockade mehr, die Leute seien schon alle nach Hause gegangen. Auch als die Räumung der Gleise begann, verwies die Polizei, die zunächst absprachewidrig die Demonstrationssanitäter_innen hinter die Polizeiketten verbannt hatte, auch einen Großteil der Presse, den parlamentarischen Beobachter und die akj-Beobachter_innen dorthin. Die Räumung der Menschen erfolgte dann zur anderen Seite der Schienen, so dass weder Sanitäter_innen noch Beobachter_innen die Räumung direkt einsehen oder gar Kontakt zu den Geräumten aufnehmen konnten. Zwar waren nicht alle Pressevertreter_innen ausgeschlossen worden. Es bestand aber der Eindruck, dass nicht alle sehen sollten, was passiert.

Insgesamt überwog jedoch der Eindruck, dass sowohl während der Blockade als auch bei der Räumung beide Seiten recht gelassen blieben. Es wurde Gesungen und von Seiten der Demonstrant_innen mit der Polizei kommuniziert. Allerdings sorgte der Umstand für Unruhe, dass die Polizei ca. viertelstündig die Gleise absuchte. Nur auf dezidierte Nachfrage wurde mitgeteilt, dass kontrolliert würde, ob sich Leute anketten oder zu schottern beginnen. Dabei mussten die Blockierer_innen aufstehen, Decken und Gepäck wurden hochgehoben und Taschen auf entsprechende Werkzeuge hin durchsucht. Ungeachtet der Tatsache, dass die auf den Gleisen in Schlafsäcke und Schutzfolien gewickelten Menschen durch das wiederholte Aufstehenmüssen immer wieder auskühlten oder durch leistungsintensive Taschenlampen geblendet wurden, kam es mitunter auch zu schikanösen Ansprachen und ruppigen Zugriffen.

Positiv ist hervorzuheben, dass es Demonstrant_innen relativ lange möglich war, über Umwege zur Blockade zu gelangen und es keine gewalttätigen Versuche der Polizei gab, diese davon abzuhalten.

Polizeiliche Durchsagen erfolgten weniger präskriptiv als moderierend und waren gut verständlich. Dabei wurde auch die Presserklärung der Polizei verlesen, nach der die Polizei hinsichtlich der erfolgreichen und scheinbar unüberwindlichen Betonkonstruktion, mit deren Hilfe sich vier Castorgegner_innen an den Gleisen gefesselt hatten, nur "zweiter Sieger" des Tages sei. Die Friedlichkeit und Kreativität der Proteste wurde gelobt. Die Polizei fühle sich den Protesten verbunden und bitte bei der Räumung um Mitwirkung, weil die Polizeikräfte schon so lange im Einsatz seien. Als Reaktion rief es ihnen aus der Blockade: "Hey Cops schmeißt die Knüppel weg!" entgegen. Kurz danach wurden die Sanitäter_innen hinter die Polizeiabsperrung verwiesen.


Die Räumung der Gleise

Beim der anschließenden Räumung wurden die Menschen teilweise recht unsanft hochgezerrt oder abgesetzt, insgesamt aber besonnen vorgegangen. Obwohl immerhin durchschnittlich drei Beamt_innen pro Person eingesetzt wurden, führte deren rasche Ermüdung schnell zu Gefährdungen der Blockierer. So gerieten z.B. die Köpfe der Blockierer_innen sehr nahe an die Schwellen oder den ungesicherten Boden, weil die Beine zu hoch getragen wurden.

Entsprechend der Absprachen mit den Protestierenden trugen die an der Räumung beteiligten Beamt_innen sowie die in der Kette stehenden keine Helme, was sehr zu Beruhigung beitrug. Lediglich einige im Hintergrund bereit stehende Zugriffsgruppen waren behelmt, was – wie per Lautsprecher mitgeteilt wurde – lediglich der Absicherung der laufenden Maßnahmen diene.
Stefanie Richter, Pressesprecherin des akj-berlin: "Während der Räumung filmte die Polizei die Maßnahmen mit mehreren Kameras und von verschiedenen Seiten aus. Einen unmittelbaren Rechtsgrund hierfür konnten wir nicht erkennen; wenn dieser – wie zu vermuten ist – nicht in dem Zweck liegen sollte, die Beamt_innen von Straftaten abzuhalten oder solche ggf. wenigstens zu dokumentieren."
Erneut hatte die Polizei Hunde vor Ort, die jedoch nicht zum Einsatz kamen. Permanent kreisten Hubschrauber in der Luft. Sonstige Beobachter außerhalb der Absperrungen erhielten Platzverweise. DIe Informationslage der Polizeiführung erwies sich als prekär. Als bspw. ein Sanitäter den Polizeileiter vor Ort fragte, warum die Räumung in eine Richtung erfolgte, in der sich nicht das Camp Hitzacker befinde, sondern in die andere, so dass die Heimkehrenden darauf angewiesen waren, die Gleise noch einmal zu überqueren, entgegnete dieser störrisch: "Warum sagen Sie mir denn das jetzt erst?"

Dieser Umstand und die weiträumigen Absperrungen, die ein Abströmen der Menschen nur in südlicher Richtung erlaubte, bedeute für viele erhebliche Umwege. Von diesen Sperrungen war auch unbeteiligte Bevölkerung, teilweise mit kleinen Kindern betroffen.

Gegen 2 Uhr begann zeitgleich zur Räumung die Arbeit an der Freilegung einer an die Gleise geketteten Person. Gegen 2:30 Uhr wurde die Demonstrationsbeobachtung abgebrochen.
Stefanie Richter: "Im Laufe der Nacht hatten wir öfter den Eindruck, dass die Gesamteinsatzleitung vernünftige Absprachen der Sanitäter_innen und Demonstrant_innen mit den Polizeiführern vor Ort durch einseitige Anordnungen durchkreuzte. Das war nicht gerade vertrauensbildend und bewirkte, dass die in Hitzacker konzentrierten Sanitäter_innen an ihrer Arbeit gehindert wurden und entsprechend an anderen Stellen im Wendland fehlten."