Donnerstag, September 20, 2007

*VDAHILNIG [ENTER]

Die Berliner Justizsenatorin, Gisela von der Aue kriegt gerade wieder von (fast) allen Seiten Dresche. Der Anlass: Das Kammergericht hat drei (nicht rechtskräftig) verurteilte Kokainschmuggler aus der Untersuchungshaft entlassen, weil deren Aufrechterhaltung wegen dem Staat zuzrechnender vermeidbarer Verfahrensverzögerung unzumutbar sei. Sie waren im September 2006 verurteilt worden und hatten Revision eingelegt. Siehe auch Bericht der Abendschau.

Weil das Gericht einige Monate zum Abfassen des Urteils brauchte, hatte die Staatsanwaltschaft erst Ende Juni 2007 die Akten zur Verfügung, um sie dem Bundesgerichtshof (BGH) zuzuleiten, berichtet der Tagesspiegel. Zunächst klang das noch anders. Da war die Rede davon, dass die Staatsanwaltschaft die Akten zunächst noch für Vollstreckungs- und Kostenangelegenheiten zurückbehielt und erst nach deren Erledigung an den BGH sandte.

Insoweit verständlich, wenn von der Aue in diesem Fall unter Hinweis auf die richterliche Unabhängigkeit nicht mehr anbieten kann, als mit den Gerichten zu reden.

Der Opposition dagegen hat die Phrasendreschmaschine angeschmissen: "Von der Aue hat ihren Laden nicht im Griff." Wahrscheinlich haben die Pressestellen der Fraktionen in ihren Textverarbeitungsprogrammen schon einen entsprechenden Textbaustein angelegt: [Rechtspolitischer Sprecher] sagt: *VDAHILNIG ENTER

Anstatt über die strukturellen Ursachen zu reden, also die politisch gewollte chronische Unterfinanzierung des Staates, die dann auch mal zu der Frage führen könnte, inwieweit der Strafvollzug - mal ganz unabhängig von seiner grundsätzlichen Eignung - unter diesen Bedingungen überhaupt noch seinen gesetzlichen Resozialisierungsauftrag erfüllen kann, schießen sie sich auf die Justizsenatorin ein.

Einen "Erfolg" scheint es ja zu geben: Die Berliner Justiz soll die "elektronische Akte" bekommen. Das wird wenigstens die Berliner AnwältInnen (oder deren ReNo's) freuen. Im nächsten Großverfahren müssen dann nicht 13 Leitz-Ordner TKÜ-Protokolle zur Akteneinsicht in die Kanzlei geschleppt und dort kopiert oder eingescannt werden. Stattdessen gibt es einen handlichen Datenträger per Post "zum Verbleib". Wer schon mal in Moabit eine Akte abgeholt hat, wird den Fortschritt bejahen. Dort sind die MitarbeiterInnen auf den Geschäftsstellen in Kabuffs eingesperrt, die mit Regalen bis an die Decke vollgestopft sind. In diesen Regalen liegen (sic!) hunderte von Akten - wahrscheinlich nach derselben "Systematik", nach der auch die Raumnummern vergeben sind. Nennt nun ein/e Akteneinsichtsbegehrende/r das Aktenzeichen, geht die Mitarbeiterin zu einem Regal und zieht mit einem kräftigen Ruck die zweit- oder drittunterste Akte (es ist komischerweise immer die
zweit- oder drittunterste) heraus ohne dabei von dem restlichen Stapel unter sich begraben zu werden.

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