Dienstag, Juni 29, 2010

Wenn der Staatsschutz keinmal klingelt

Tja, Tücken der Technik. Wie die taz am 11.06.2010 berichtete, wird einer der üblichen Verdächtigen wahrscheinlich mittels "stiller SMS" beobachtet. Dank seines neuen Mobiltelefons hat der Anmelder zahlreicher Demonstrationen und Aktivist des Hamburger autonomen Zentrums "Rote Flora" bemerkt, dass auf seinem Mobiltelefon ohne sein Zutun reger Datentransfer herrschte. Dafür sind offensichtlich die besagten Kurzmitteilungen verantwortlich.Dabei handelt es sich um eine Ermittlungsmethode, bei der der Polizei eine Nachricht an das Mobiltelefon sendet, ohne dass das Handy klingelt oder sie auf dem Display auftauchen. Eigentliches Ziel sind die dennoch beim Mobilfunkanbieter anfallenden Daten, mit deren Hilfe die Polizei den Nutzer orten und/oder Bewegungsprofile erstellen kann, auch wenn er nicht telefoniert.

Der Betroffene hat nun festgestellt, dass jedes Mal, nachdem eine solche SMS von seinem Gerät abgerufen worden war, Sekunden später eine beträchtliche Datenmenge per MMS einging . Auch bei Bekannten sei dieser stille Verkehr feststellbar gewesen. Die Merkwürdigkeiten hätten aufgehört, nachdem er sich in einer E-Mail darüber lustig gemacht hatte. Technische Fehler schließt er aus. Auch auf seiner Rechnung tauchten die SMS und MMS nicht auf.

Angeblich findet dieser Trick eine Rechtsgrundlage in den §§ 100a, bzw. § 100g Abs. 1 Satz 1, 3 StPO. Das Perfide daran ist, dass die Polizei die Telekommunikationsvorgänge erst selbst verursacht, um sie dann zu überwachen. Das ist in etwa so, als wenn sie vor einer Durchsuchung die Eingangstür und alle Fenster herausschlägt, um ohne richterliche Anordnung die Wohnung mit der Begründung zu durchsuchen, ein derart nach allen Seiten offener Raum könne schwerlich als von Art. 13 GG geschützte Rückzugssphäre angesehen werden. Oder sie überträgt die per Wanze aufgezeichneten Gespräche live im Internet, weil sie dann nicht mehr "nicht öffentlich gesprochenes Wort" im Sinne der §§ 100c, 100f StPO seien.

Mutmaßlicher Anlass scheinen Ermittlungen der Generalbundesanwältin wegen Attacke auf ein Polizeirevier im Hamburger Schanzenviertel sein. Am 3. Dezember 2009 hatten Vermummte mit einem Fahrradschloss die Eingangstür der Polizeiwache versperrt, deren Scheiben eingeworfen sowie Polizeifahrzeuge und einen Müllcontainer in Brand gesteckt. Zu dem Angriff hatte sich eine Gruppe "Koukoulofori" (griechisch für "Vermummte") bekannt, die damit an den von der Polizei in Athen erschossenen Alexandros Grigoropoulos erinnern wollte. Zugleich wollten sie ihn laut Bekennerschreiben auch als Warnung vor einer Räumung der Roten Flora verstanden wissen
Die Bundesanwaltschaft zog die Ermittlungen an sich und erweiterte den Tatvorwurf auf versuchten Mord. Das hatte zunächst vor allem symbolische Bedeutung, nachdem die linke Szene in Berlin und Hamburg merklich offensiver wurde (ich nenne als Stichwort zur Erinnerung mal nur "brennende Autos"). Denn die Generalbundesanwältin kann in einem solchen Fall nur die Verfolgung übernehmen, wenn er dazu bestimmt und geeignet ist den Bestand oder die Sicherheit eines Staates zu beeinträchtigen und er eine "besondere Bedeutung" hat (§ 120 Abs. 2 Nr. 3 GVG). Mit der Übernahme in ihre Zuständigkeit wollte sie dem Publikum zeigen, dass da ganz gefährliche Staatsfeinde am Werk sind. "Netter" Nebeneffekt: Die Polizei konnte damit auf die technischen Spielereien zurückgreifen, die sonst aus §-129a-Ermittlungen bekannt sind (vgl. dazu älteren taz-Artikel).

Und wäre das nicht schon genug Futter für den Verfolgungswahn¹, erfahren wir Folgendes im Interview mit einem ehemaligen Staatsschützer (Hatte der keine Spiegel in der Wohnung oder wie vermied er, sich jeden Morgen ins Gesicht schauen zu müssen? :o) ):

Die Innenministerkonferenz prüft, die zur Früherkennung ursprünglich nur über angebliche Djihadisten durchgeführten Vorfeldermittlungen nun auch auf Linksradikale² zu erweitern. Unabhängig von einem konkreten Tat- oder Gefahrenverdacht werden die Betroffenen durchleuchtet. Dafür hat man den Begriff "politisch motivierter Gefährder" erfunden. Das sind Menschen, die weder für eine Gefahr verantwortlich ("Störer"), noch einer Straftat verdächtig sind, bei denen die Polizei dennoch prognostiziert, sie könnten zukünftig politisch motivierte Straftaten begehen und dann zum Störer beziehungsweise Täter werden. Irgendwann einmal. Gegen diese "Gefährderdatei Links" nimmt sich deren Vorläufer "Gewalttäter Links" beinahe harmlos aus.

Falls jetzt jemand "Tod dem Spitzelstaat!" an die Wand sprühen will, noch folgender Hinweis: eher nicht in Neukölln.

¹ Das müsste zur Abgrenzung von krankhaftem Ermittlungseifer eigentlich Verfolgtseinwahn heißen.

² Zur Vermeidung des Bauchnabelschau-Vorwurfs sei angemerkt: Bei den Freunden des Hufeisenschemas ist davon auszugehen, dass es vermutlich auch Rechtsradikale trifft.


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