Kiezspaziergang mit Polizeibegleitung
Bericht zur Beobachtung der Silvio-Meier-Demo am 24. November 2012 in Berlin
Am 24. November 2012 fand in Berlin Friedrichshain und Lichtenberg eine antifaschistische Demonstration zum jährlichen Gedenken an den vor 20 Jahren von Neonazis ermordeten Silvio Meier unter dem Motto „Erinnern heißt kämpfen!“ statt. Antifaschistische Demonstrationen sind in besonderem Maße polizeilichen Repressionen ausgesetzt. Aus diesem Grund führte der arbeitskreis kritischer juristinnen und juristen an der Humboldt-Universität zu Berlin (akj-berlin) mit Unterstützung der kritischen jurist_innen an der Freien Universität Berlin (kj*FU) und dem Komitee für Grundrechte und Demokratie eine Demonstrationsbeobachtung mit 25 Beobachter_innen durch.Während die Polizei im letzten Jahr auf eine eher deeskalative Strategie gesetzt hatte, war die Polizeipräsenz in diesem Jahr massiv und bedrohlich. Neben der Berliner und der Bundespolizei waren Einheiten aus sieben weiteren Bundesländern im Einsatz. Von Beginn der Demonstration an trugen die Beamt_innen Helme, teilweise auch Sturmmasken. In der Demonstration liefen zudem einige Beamt_innen in Zivil und ohne weitere Kennzeichnung mit.
Nördlich der Frankfurter Allee lief die Demonstration von Polizeiintervention weitgehend unbehelligt mit über 6000 Teilnehmer_innen selbstbewusst und lautstark durch den Kiez. Mit Erreichen der Boxhagener Straße zog die Polizei zu beiden Seiten mehrere Ketten mit Schlagstöcken, Pfefferspray, Protektoren und Schutzkleidung ausgerüsteter Beamt_innen auf. Diese Spaliere entlang des größten Teils des Zuges bedrängten die Demonstration so stark, dass die Wahrnehmung ihres Anliegens enorm erschwert und deren selbstbestimmte Entfaltung und Gestaltung unmöglich wurde. So konnten weder das Fronttransparent noch die Seitentransparente gelesen werden. Zudem wurden die Demonstrierenden durchgehend gefilmt. Vor dem Demonstrationszug fuhren Kamerawagen her, die Übersichtsaufnahmen anfertigten. Aus den Polizeiketten heraus wurden Einzelpersonen gezielt abgefilmt.
In Lichtenberg verschärfte sich der bedrohliche Eindruck, etwa durch die Präsenz eines Wasserwerfers, der in der Emanuelstraße/ Ecke Lückstraße fast schon auf der Demonstrationsroute mit Flutlicht bereit stand. Die Polizei warnte Anwohner_innen vor der nahenden Demonstration. Auf der Lückstraße erfolgten auch die ersten beobachteten Zugriffe durch die Polizei. Diese stoppte die Demonstration, drang seitlich in die eng stehenden Reihen ein und führte Festnahmen durch, wobei die Transparente heruntergerissen und Umstehende weggeschubst und getreten wurden. Zur Festnahme einer weiteren Person mitten aus der Demonstration heraus kam es in der Weidlingstraße 103. Die nicht deutschsprachige Person wurde in den Hinterhof verbracht und dort längere Zeit festgehalten, ohne dass ihr der Grund der Festnahme mitgeteilt wurde. Einer umstehenden Person wurde in Folge der Verhaftung ein Schneidezahn ausgeschlagen.
Stefanie Richter, Pressesprecherin des akj-berlin erklärt dazu: „Als Festnahmegrund wurde immer wieder 'Vermummung' genannt. Unabhängig von der Frage, ob dieser Vorwurf im Einzelfall zutreffend war, ist es schon schwer erträglich sein Gesicht den Kameras von Neonazis auszusetzen, die entlang der Strecke gefilmt und fotografiert haben. In der Rechtsprechung ist dieser Umstand schon mehrfach als Rechtfertigungsgrund für eine Vermummung auch auf Versammlungen angesehen worden.“
Um 18:50 Uhr teilte die Polizei per Lautsprecherdurchsage mit, dass der Anmelder die Versammlung für beendet erklärt habe. Zu diesem Zeitpunkt befand sich die Spitze des Demonstrationszuges vor dem S-Bahnhof Lichtenberg. Unmittelbar danach erfolgten massive Eingriffe in die Versammlungsfreiheit der Teilnehmer_innen. An vielen Stellen wurden ihnen die Transparente entrissen, Polizeieinheiten drangen in die Demonstration ein und führten rabiat Festnahmen durch. Es kam zum Einsatz von Pfefferspray, Umstehende wurden ins Gesicht geschlagen und getreten. Sanitäter_innen und Pressefotograf_innen wurden an ihrer Arbeit gehindert und teilweise bedroht.
Äußerst kritikwürdig war das Verhalten der Polizei im Bahnhof Lichtenberg, insbesondere auf dem S-Bahnsteig Gleis 2. Die Versammlungsteilnehmer_innen wurden zunächst aufgefordert, in den Bahnhof zu gehen und die Heimfahrt anzutreten. Jedoch wurde der Zugang zu den Gleisen immer wieder beschränkt und dabei die Bezugsgruppen willkürlich getrennt. Im Bahnhof war die Polizei massiv präsent und filmte alle Leute ab, welche die Bahnhofshalle betraten. In der Unterführung zu den S-Bahn-Gleise wurde beobachtet, wie eine Gruppe von acht Bundespolizisten der Beweissicherungs- und Festnahmeeinheit ohne Vorwarnung die Treppe herunterliefen, wobei sie mehrere Personen zur Seite schubsten. Eine Frau, die dabei zu Fall gekommen war, sprach einen Beamten an und wurde daraufhin von diesem zu Boden gebracht. In der darauf folgenden Auseinandersetzung wurde beobachtet, wie mehrere am Boden liegende Personen von den Beamten getreten wurden. Eine Festnahme erfolgte nicht, die nicht weiter gekennzeichneten Beamten ließen sie einfach liegen. Auch auf Ansprache hin verweigerten sie die Nennung ihres Namens oder die Herausgabe einer Dienstnummer.
Stefanie Richter kommentiert: „Es ist ziemlich auffällig, dass die Brutalität der Polizeieinsätze steigt, wenn die Beamt_innen sich in Folge ihrer Anonymität sicher wähnen. Die Kennzeichnung der Berliner Polizei ist nicht wirksam, solange Beamt_innen aus anderen Bundesländern ohne Kennzeichnung gewalttätige Vollstreckungsmaßnahmen durchführen können. Wir fordern daher eine bundesweite und gesetzliche Kennzeichnungspflicht aller Polizeibeamt_innen.“
Auf dem Bahnsteig kam es zu äußerst gefährlichen Szenen, als Bundespolizisten in einen überfüllten S-Bahn-Zug hineindrängten. Nachdem die Türen geschlossen waren, kam es im Wagon zu Panikreaktionen und Handgreiflichkeiten, woraufhin die Türen wieder geöffnet, einzelne Personen aus dem Zug heraus gezogen und verhaftet wurden. Dabei wurde eine Frau über den Bahnsteig und gegen den auf dem gegenüberliegenden Gleis wartenden Zug geschleudert. Insgesamt erschien sowohl die Präsenz der Polizeieinheiten auf dem Bahnsteig als auch deren Mitfahrt in den S-Bahnen unangemessen und riskant.
Insgesamt wurden 18 Festnahmen beobachtet.
Labels: Alltagswahnsinn, Zeitfolgen, Zur Akte
6 Comments:
Übrigens: Die Vorkontrollen waren irgendwie auch ziemlich willkürlich: alles was Springerstiefel oder NorthFace-Jacken trug, wurde penibel gefilzt, andere gar nicht. Das divergierte stark zwischen den Einheiten verschiedener Bundesländer. Brandenburg und Schleswig-Hollstein nahmens ganz genau mit klarem Feindbild.
Zum Auftreten der Beamtinnen ist zudem folgendes zu ergänzen:
Es wurden mehrfach auf der Strecke Personen daran gehindert, sich der Demonstration anzuschließen. Von den begleitenden Beamtinnen wurden diese sehr massiv zurückgestoßen als sie sich dem Demonstrationszug anschließen wollten.
Nach der Demonstration kam es in der SBahn auf Gleis 2 nicht nur zu Tumulten, die Beamtinnen setzten Pfefferspray auch ohne Rücksicht auf Fahrgäste im Zug ein, die nicht an der Demonstration teilnahmen.
Die Personen der Polizei /Polizistinnen etc. die sich so daneben benommen ahben einfach ANZEIGEN. Weis man keinen Namen, Beschreibung abgeben und einfach viele/alle dort anzeigen. Wenn das ganz viele machen werden die sich auch wohl bald mal etwas zusammennehmen müssen Ist ja unmöglich...! Koeln
Es muss ja festzustellen sein welcher ZUG (Polizeizug ) da Einsatz hatte und dann einfach (wnn die keine Kennzeichnung rausrücken) alle anzeigen wegen Freiheitseingriff Eingriff in die persöniche Meinungsäußerung und bis hn zu körperlicher Gewalt...und wenn die Vermummung in den Mund nehmen dann sollen sie mal dafür sorgen dass wirklich Vermummte Vermummende schwarze Dinge wegkommen...und dnicht harmlsoe Studenten und Jugendliche die eben wegen den Methoden der Polizei neuerlich wieder nicht gerne mit bloßem Gesicht dahinspazieren , ausserdem darf man sich bei Kälte auch schützen und sein Gesicht abschotten!!! Wo steht denn, dass nicht?????Koeln
Es ist schon traurig, dass die Polizei bei linken Demos stärker anrückt, als bei den rechten Auswüchsen.
Aber so ist das ja immer.
Vermummung muss in diesem Fall erlaubt sein, da die Neonazis die Gesichter der Demonstranten veröffentlichen und zu Hetzjagden aufrufen.
@Sabaheta:
Machen das die Linken denn nicht auch?
Bilder von Nazi-Demos und machen und dann einzelne Teilnehmer mit Bild, Namen und Wohnort z.B. Im Internet veröffentlichen?
Ahoi, Achim
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