Dienstag, April 25, 2017

Keine Erweiterung polizeilicher Befugnisse in der DNA-Analyse!

akj-berlin unterstützt den Protest des Gen-ethischen Netzwerk e.V. gegen das „Gesetzes zur effektiveren und praxistauglicheren Ausgestaltung des Strafverfahrens“


In größter Eile bemühen sich Sicherheitspolitiker_innen derzeit darum, noch in dieser Legislaturperiode die polizeilichen Befugnisse bei der DNA-Analyse drastisch zu erweitern. In einer Stellungnahme des Gen-ethischen Netzwerk e.V. protestieren 25 zivilgesellschaftliche Organisationen, darunter auch der arbeitskreis kritischer jurist_innen an der Humboldt-Universität zu Berlin (akj-berlin), gegen diesen äußerst bedenklichen Vorstoß. Sie bemängeln eine fehlgeleitete Informationspolitik, die Verletzung von Datenschutzrechten und befürchten rassistische Stimmungsmache.
Am 27.04.2017 wollen sich Vertreter_innen der Koalition über die endgültige Version des Entwurfs des „Gesetz zur effektiveren und praxistauglicherenAusgestaltung des Strafverfahrens“ (BT-Drs. 18/11277) einigen, der schon im Mai durch den Bundestag beschlossen werden soll. Mit dem Gesetz soll es der Polizei erlaubt werden, bei Massengentests Rückschlüsse auf die DNA von Verwandten einer Probengeber_in zu ziehen. Außerdem kamen aus dem Bundesrat weitere Forderungen, nämlich im Rahmen dieses Gesetzes auch die Vorhersage von Augen-, Haar und Hautfarben über DNA-Analysen sowie die Tests so genannter „biogeographischer Herkunftsmarker“ zu legalisieren. 
 
Susanne Schultz, Vorstandsmitglied des Gen-ethischen Netzwerks sagt dazu: 
„Diese Analysen erlauben keine eindeutigen Aussagen, es geht hier um Wahrscheinlichkeitsberechnungen. Diese sind nicht nur methodisch hochproblematisch. Mit der Verwandtensuche wird das Prinzip der Freiwilligkeit bei Massengentests verletzt.“
Gemeinsam mit 24 anderen Menschenrechtsorganisationen protestieren wir gegen diese Vorhaben, wie sie im „Gesetz zur effektiveren und praxistauglicheren Ausgestaltung des Strafverfahrens“ gebündelt werden. Die vorgeschlagenen Verfahren erlauben keine eindeutigen Aussagen, sondern nur Wahrscheinlichkeitsbewertungen (1). Vor allem aber verletzen sie bisherige Standards des Datenschutzes (2) und können rassistische Stimmungsmache und Diskriminierung fördern oder gar heraufbeschwören (3).

1) Politik und Medien überschätzen die wissenschaftliche Aussagekraft und den kriminalistischen Nutzen dieser DNA-Analyseverfahren bei weitem – Fehlinterpretationen sind vorprogrammiert

Die zur Legalisierung vorgeschlagenen Verfahren sind weder wissenschaftlich ausreichend überprüft noch kriminalistisch konsistent. Einfacher gesagt: Sie versprechen wesentlich mehr, als sie halten. Die Aussagekraft von Tests für die meisten Haar- und Augenfarben ebenso wie für die Hautfarbe ist äußerst niedrig. Nur bei spezifischen Merkmalen (eindeutig blauen oder dunkelbraunen Augen, eindeutig schwarzen oder roten Haaren) gibt es höhere Vorhersagewahrscheinlichkeiten. In den Studien liegen hier die Trefferquoten je nach verwendeten Markern, Referenzpopulationen und statistischen Modellen zwischen 87 und allerhöchstens 98 Prozent. Das heißt aber umgekehrt, dass selbst bei diesen Pigmentierungen 2 bis 13 Prozent der Ermittlungen in die Irre geführt werden. Zudem sind diese Verfahren wissenschaftlich bisher nicht ausreichend überprüft, und vorliegende Validierungsstudien sind von äußerst mangelhafter Qualität.

Ähnlich vage Ergebnisse erzielen Tests auf die „biogeographische Herkunft“. Höhere Wahrscheinlichkeiten lassen sich allenfalls bei kontinentaler Herkunft erzielen, nicht aber bei nationalen oder regionalen Eingrenzungen. Auch für Laien ist offensichtlich, dass angesichts der Geschichte globaler Migration selbst kontinentale Zuordnungen notwendig fehleranfällig sind. Die derzeit verfügbaren Tests kommen auch bei gleicher DNA aufgrund verschiedener Referenzdaten zu unterschiedlichen Ergebnissen. Zudem basieren diese Datenbanken auf stereotypen Zuschreibungen, wenn es um Ethnizität und Herkunft geht. So deskriptiv die „biogeographischen Marker“ vermeintlich sind – so sehr basieren sie auf Strategien der Rassifizierung.

Ebenso überschätzt der Gesetzentwurf auch das Verfahren der Verwandtensuche. Bei Massengentests sollen Verwandte einer/s Probengeber_in in Ermittlungen einbezogen werden, wenn das Proben-DNA-Profil teilweise mit dem Spuren-DNA-Profil übereinstimmt. Das Gesetz bestimmt nicht, wie hoch die Teilübereinstimmung ausfallen muss und erlaubt Rückschlüsse bis auf Verwandte dritten Grades in der Seitenlinie, auch wenn hier biostatistisch die Übereinstimmungen nur noch gering sind und eine hohe Quote falsch-positiver Zufallstreffer erwartbar ist. Zudem würde eine sehr große Gruppe entfernt verwandter Personen in Ermittlungen einbezogen, auch wenn die Wahrscheinlichkeit der Übereinstimmung mit der Spuren-DNA äußerst gering ist.

Der kriminalistische Nutzen dieser Verfahren ist insofern fragwürdig. Tatsächlich kommen sie auch dort, wo sie legal sind, äußerst selten zur Anwendung und führen noch seltener zu Ermittlungserfolgen. Vielmehr besteht die Gefahr, dass eine wissenschaftsgläubige Überschätzung dieser Methoden, zu denen auch die mediale Darstellung der Gerichtsmedizin entscheidend beigetragen hat (der sogenannte CSI-Effekt), zu Fehlinterpretationen und irregeleiteten Ermittlungen führt.

2) Das Gesetzesprojekt verletzt seit langem gültige datenschutzrechtliche Prinzipien

Die zur Debatte stehenden DNA-Analyseverfahren verletzen bisher gültige datenschutzrechtliche Standards. Dies wiegt umso schwerer, als sie uneingeschränkt für alle Ermittlungen zugelassen werden sollen, bei denen heute DNA-Analysen erlaubt sind, also im Falle der Marker zu Aussehen und biographischer Herkunft etwa auch bei Diebstahl. Und Diebstahlermittlungen sind entgegen landläufiger Vorstellungen derzeit der bei weitem häufigste Anlass für DNA-Analysen, nicht Kapitaldelikte.

Bisher gilt das Prinzip, dass nur „nichtkodierende“ Bereiche der DNA analysiert werden dürfen, die keine Rückschlüsse auf Eigenschaften einer Person erlauben – mit der einzigen Ausnahme der chromosomalen Geschlechtsanalyse. Mit dem Gesetz sollen nun auch Analysen von Haut-, Haar- und Augenfarbe als unproblematisch gelten, da es sich um „äußerlich erkennbare Merkmale“ handele. Abgesehen davon, dass Haare gefärbt oder Augenfarben mit Kontaktlinsen geändert werden können, unterliegen grundsätzlich alle Pigmentierungen subjektiven und gesellschaftlichen Interpretationen. Eindeutige Zuordnungen sind also nicht so unproblematisch wie behauptet. Zudem steht zu befürchten, dass solche Tests neue Formen der Datenbankerfassung von Haar-, Haut- oder Augenfarbe nach sich ziehen, um die Testergebnisse in Ermittlungen überhaupt sinnvoll nutzen zu können.

Auch die angestrebte Zulassung der Verwandtensuche bei Reihenuntersuchungen steht in extremem Gegensatz zu bisherigen Kriterien von DNA-Analysen: Die so indirekt genetisch erfassten Verwandten können weder freiwillig zustimmen, noch sind sie Beschuldigte in einem Verfahren. Bei der Recherche von Verwandten bis zum dritten Grad würde eine enorme Anzahl Unbeteiligter ins Visier von Ermittlungen geraten. Zudem ist auch das Recht auf informationelle Selbstbestimmung der Teilnehmer_innen an solchen Massengentests gefährdet. Der Deutsche Anwaltverein hat dieses Verfahren bereits im August 2016 scharf kritisiert. Die Teilnehmenden könnten das Ausmaß der Tragweite ihrer Einwilligung zu einer Probenabgabe nicht abschätzen, mit der sie möglicherweise verdachtsbegründendes Material gegenüber Verwandten bereitstellen.

3) Die Anwendung dieser Verfahren kann rassistische Stimmungsmache auslösen und dazu führen, dass diskriminierte Gruppen öffentlich unter Generalverdacht gestellt werden

Es steht zu befürchten, dass die Ermittlungen nach Täter_innen entlang vager und fehleranfälliger Analysen äußerlicher Merkmale oder „biogeographischer Herkunft“ Diskriminierung oder gar rassistische Hetze verstärken oder auslösen. Technologien wirken nicht im luftleeren Raum, sondern stehen im Kontext aktueller gesellschaftlicher Verhältnisse; dies gilt auch für polizeiliche Analyseverfahren. Schon der konkrete Anlass der aktuellen Gesetzesdebatte macht diese Gefahr mehr als deutlich. Die Gesetzgeber_innen reagierten unmittelbar auf die Hetzkampagne einer rassistischen Sekte, nachdem in Freiburg eine junge Frau ermordet worden war. Auch wenn die nun angestrebten DNA-Analyse-Verfahren für die Lösung dieses Falls laut rechtsmedizinischer Expertise gar nicht einsetzbar gewesen wären, stellen Politik und Medien sie als kriminalistisches Non plus ultra für gerade solche Fälle dar.

Zwar könnten auch Blauäugige oder Rothaarige über solche Verfahren ins Visier von Ermittlungen geraten. Aktuelle Erfahrungen zeigen aber, dass die deutsche Öffentlichkeit ungleich interessierter ist, wenn es um rassistisch diskriminierte Gruppen geht, die unter Generalverdacht gestellt werden können. Sollte auch die Suche nach „biogeographischen Herkunftsmarkern“ erlaubt werden, potenziert sich diese Gefahr noch einmal. Selbst polizeiliche und forensische Expert_innen haben in jüngsten öffentlichen Statements hierzu fälschlicherweise viele Formen der Kategorisierung durcheinander gebracht. Während die einen etwa betonen, dass diese Analysen keine Aussagen über das Aussehen zulassen, halten andere sie für adäquat, um etwas über die Hautfarbe aussagen oder gar die Person kulturell, nämlich „ethnisch“ einordnen zu können.

Befürworter_innen erklären zwar gerne, Kriminalist_innen wüssten über die Grenzen der Aussagekraft und Fehleranfälligkeit der Methoden Bescheid. Die gefährliche Wirkmächtigkeit von Technologiegläubigkeit kombiniert mit rassistischen Vorverurteilungen innerhalb der Sicherheitsapparate ist jedoch nicht zu unterschätzen. Dies haben etwa die Ermittlungsfehler beim so genannten „Phantom von Heilbronn“ mehr als deutlich gemacht: Die DNA einer Wattestäbchenverpackerin löste eine unglaubliche Ermittlungs- und Hetzkampagne gegen Roma und Sinti aus, während andere Ermittlungen etwa in Richtung rechter Gruppen zu dem Mord, der später dem NSU zugeordnet werden konnte, ausblieben.

  • Wir protestieren gegen die fehlgeleitete politische und mediale Darstellung dieser Methoden. Die sicherheitspolitisch geforderten DNA-Analysen sind keine Wahrheitsmaschinerie, sondern hochgradig fehleranfällig. Die Gefahren ihrer Anwendung wiegen weitaus schwerer als ihr geringer kriminalistischer Nutzen!
  • Wir protestieren dagegen, dass bisher gültige Datenschutzrechte dramatisch verletzt werden, wenn Rückschlüsse auf persönliche Eigenschaften und Verwandtschaftsbeziehungen via DNA-Analyse erlaubt werden!
  • Wir protestieren dagegen, dass das Gesetzesvorhaben rassistischer Stimmungsmache Vorschub leistet. Öffentliche Generalverdächtigungen gegen diskriminierte Gruppen aufgrund der Analyse von Haut-, Haar- und Augenfarben oder Herkunftsmarkern dürfen nicht durch solche Verfahren ermöglicht werden!

Unterstützer_innen

Aktion Bleiberecht                         
Amaro Foro e.V.
Antirassistische Initiative Berlin (ARI)
arbeitskreis kritischer jurist_innen an der Humboldt-Universität zu Berlin (akj-berlin)
Bayerischer Flüchtlingsrat
BioSkop - Forum zur Beobachtung der Biowissenschaften und ihrer Technologien e.V.
Datenschutzgruppe der Roten Hilfe Heidelberg
Flüchtlingsrat Hamburg e.V.
Flüchtlingsrat Niedersachsen e.V.
freiheitsfoo
Gefangenen-Gewerkschaft/Bundesweite Organisation (GG/BO)
Gen-ethisches Netzwerk e.V.
glokal e.V.
Kampagne für Opfer rassistischer Polizeigewalt Berlin (KOP)
Komitee für Grundrechte und Demokratie e.V.
Kritische Mediziner*innen Freiburg
Netzwerk Migrations- und Grenzregimeforschung (kritnet)
ReachOut
Redaktion Bürgerrechte & Polizei/CILIP
Respect Berlin
Rote Hilfe e.V.
[SaU] - Seminar für angewandte Unsicherheit
Türkischer Bund in Berlin-Brandenburg (TBB)
Verein demokratischer Ärztinnen und Ärzte
Women in Exile e.V.




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