Donnerstag, März 24, 2011

Ruhe bewahren! Ansagen beachten

Das neue freischüßler ist da

Justizirrtum – doch kein antifaschistischer Grundkonsens im GG?
Der Bund der Vertriebenen hat es geschafft: Die Charta der Heimatvertriebenen wird Gründungsdokument der Bundesrepublik. Damit tritt zugleich eine neue Auslegungsmaxime für das GG in Kraft: »Wir verzichten auf Rache und Vergeltung, aber unsere Häuser hätten wir trotzdem gern zurück.«
Diese Flüchtlinge waren, oh Verzeihung sind »deutschen Blutes« (Art. 116 GG) und daher natürlich berufene Träger der Leitkultur. Die auf Lampedusa Festsitzenden aus Nordafrika dagegen, sind nicht mal am zweiten Weltkrieg schuld und gehören damit auch nicht zu »uns«. Sie entstammen ja noch nicht einmal den deutschen Kolonien Schutzgebieten. Vor ihnen will die CSU daher unsere Sozialsysteme bewahren – wie damals in Deutsch-Südwestafrika: »Bis zur letzten Patrone.« »Unsere« Leute haben wir schon längst ausgeflogen – samt ihrer Schoßhündchen. Die sitzen inzwischen mit Arnulf Baring bei Frau Will (West) auf der Couch und philosophieren über des »Arabers« Wesen und Natur.
Wahre Inhalte liefert in dieser schwierigen Zeit made by Bundesbank allein die deutsche Antwort auf Adam Smith und Samuel Huntington, der Wirtschaftsanalytiker, Kulturantroposoph und Ernährungsberater in Personalunion: (nein, nicht Renate Künast)
Thilo Sarazzin. Mit seinen scharfsinnigen, interdisziplinären Überlegungen, niedergelegt in einem Buch, das inzwischen fast jede_r gekauft, aber niemand gelesen hat, gehört seine Familie unzweifelhaft zum deutschen Kulturkreis, einmal abgesehen von dessen Nachwuchs. Während seine Mutter mit den kleinen Charlottenburger »Suzukis« ringt, gefällt der Filius sich darin, in
der sozialen Hängematte zu schaukeln. Diese ist mit 5 (in Worten: fünf ) Euro mehr im Monat so richtig kuschelig geworden. Wir fragen uns natürlich, wie viel ist dran an Thilos Thesen oder besser: Wie viel ist echt?
Auch eine andere Karriere aus dem sarazzinschen Bilderbuch verweilt fürs Erste in seiner seit 1158 durch Raubrittertum gefütterten Matratzengruft. Und das alles nur, weil der wissenschaftliche Dienst des Bundestages falsch zitiert hat. Der eigentliche Skandal ist doch nicht die Verschleierung des Kundusbombardements, seine krude Personalpolitik oder die glamourösen Fernsehshows im Fronteinsatz, sondern der bittere Umstand, dass er sich für diese Schlechtleistung seiner Ghostwriter, wohlmöglich sogar _innen, nicht einmal vor dem Arbeits- oder Zivilgericht schadlos halten kann. Armes Deutschland.
Wir von der Humboldt-Universität sind über solche Entwicklungen natürlich mehr als beruhigt. Verschiebt sich doch die ganze peinliche Debatte um wissenschaftlichen Diebstahl (sic!) endlich wieder von unserer altehrwürdigen Alma Mater hinter die fränkischen Hügel, die daraufhin prompt wieder der Exzellenz verfällt. Bayreuth kann es nicht mehr werden.
Wen interessiert da schon, wer sonst auf der Welt noch kurz vor dem Rücktritt steht. Oder wo von einer neu entdeckten gesellschaftlichen Wirkungsmächtigkeit, noch nicht völlig ausgelatschte, wohlzitierte Wege versucht werden? Naja, steht bestimmt auch alles schon in diesem Buch…

Viel Spaß beim Lesen der neuen Ausgabe...

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Mittwoch, März 09, 2011

Eingestellt

Der 2. Prozesstag im Verfahren gegen die Buchhandlung oh 21 endet mit einer Einstellung

2. Prozesstag
8.3.2011, 11 Uhr, Saal 101


Am 100. Weltfrauentag sollte es also weitergehen mit dem Prozess gegen den Geschäftsführer des linken Buchhandels oh 21. Kurz vor 11 Uhr sammelten sich Anwält_innen und Zuschauer_innen vor dem Amtsgericht Tiergarten. Die Polizei war auch schon da und beobachtete skeptisch die Menschenansammlung auf der anderen Straßenseite. Offensichtlich erweckte diese Verdacht, denn die Polizei überquerte die Fahrbahn um nachzufragen, ob es sich hier um eine Versammlung oder einen Kaffeeklatsch handeln würde. Der Tag fing gut an.

Um 11 Uhr ging es dann los, natürlich nicht ohne die überzogenen Sicherheitsvorkehrungen hinter sich bringen zu müssen. Diesmal wurde dem Ganzen aber noch die Krone aufgesetzt, denn die Zuschauer_innen sollten sich damit einverstanden erklären, dass eine Kopie des Ausweises angefertigt wurde. Die Begeisterung darüber hielt sich wie erwartet in Grenzen und die Beamt_innen mussten einigen Spott über sich ergehen lassen. Viele weigerten sich diese Prozedur mitzumachen und verlangten an dem Prozess teilnehmen zu können, ohne sich einer derartigen Behandlung unterziehen zu müssen. Deshalb begann der Prozess, nach einer Unterbrechung, um einen entsprechenden Antrag zu formulieren, mit einer Erklärung der Anwält_innen, in der die mangelhafte Gewährung von Öffentlichkeit beanstandet wurde. Außerdem wurde ein Telefonat zwischen dem Richter und dem Verteidiger zur Sprache gebracht, in dem dieser wohl selbst die Überzeugung zum Ausdruck gebracht hatte, dass in diesem Prozess eigentlich keine verschärften Sicherheitsvorkehrungen notwendig seien. Dass diese dann doch durchgeführt wurden – sogar in verschärfter Form –, verwunderte schon sehr. Der Antrag wurde vom Richter abgelehnt, unter anderem mit der laxen Begründung, dass der Richter keine Weisungsbefugnis über die Beamt_innen der Justiz hätte. Später wurden die Ausweise dann nicht mehr kopiert. Ob das an einem Verständigungsproblem zwischen Richter und Beamt_innen lag oder ob die Vernunft wieder Einzug gehalten hatte, ließ sich nicht in Erfahrung bringen.

Die Verteidiger_innen hatten noch weiteren Anlass, sich zu wundern. Als kurze Zeit später um eine Prozessunterbrechung gebeten wurde, um einen Befangenheitsantrag gegen den Richter zu stellen, da dieser wiederholt Anlass dafür gegeben habe, dass der Angeklagte an der vom Richter zu gewährleistenden Prozessfairnis begründete Zweifel hegen dürfe, wurde dies abgelehnt. Als Begründung lautete es diesmal, dass ein solcher Antrag ja nicht sofort gestellt werden müsse und die Zeugen ja nun auch schon da wären. Selbst als der Richter auf den Umstand aufmerksam gemacht wurde, dass ein solcher Antrag laut § 25 Abs. 2 Nr. 2 StPO unverzüglich (d.h. ohne schuldhaftes Zögern) zu stellen sei, war dieser noch nicht überzeugt. Es bedurfte schon einiges „guten Zuredens“ ihn einsehen zu lassen, dass es im Sinne des deutschen Rechtssystems eine Pause zu gewähren ist.

Nachdem der Antrag dann nach der Unterbrechung verlesen war, wurde der erste Zeuge des Tages in den Zeugenstand berufen. Dieser machte, nach seinem Beruf gefragt, das erste Mal von seinem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch. Die Anwältin des Zeugen bemerkte, dass er sich bei dieser Art von Prozess schon durch die Nennung seines Berufes möglicherweise selbst belasten könne. Sie beanstandete außerdem, dass sie keine Akteneinsicht gewährt bekommen habe, selbst in die Teile der Akte nicht, die ihren Mandanten betreffen. Auch die Anklageschrift würde weder sie noch ihr Mandant kennen. Der Richter verstand die Welt nicht mehr und konnte angeblich nicht nachvollziehen, warum der Zeuge nichts sagen wolle. Denn „er hätte ja nichts zu befürchten“. Das Gelächter unter den Zuschauer_innen war wohl die einzig passende Erwiderung auf diese Farce. Nach einigem Hin und Her wurde dann zum Richtergespräch gerufen, und die Zuschauer_innen mussten den Saal verlassen.

Einige Zeit später ging mit es mit einer großen Überraschung weiter. Das Verfahren wurde nach § 153 II StPO eingestellt. Offensichtlich hatten Richter und Staatsanwaltschaft festgestellt, dass nun nichts weiter gegen den Angeklagten vorlag. Nach der Frage, ob der Buchhändler die Zeitschriften wiederhaben wolle und dieser die Frage verneinte, gaben alle für diesen Tag das letzte Mal ihre Zuschauerkärtchen ab und verließen den Sicherheitstrakt des Amtsgerichts.

Welchen Einfluss die Einstellung des Verfahrens auf die anderen anstehenden Prozesse haben wird, bleibt abzuwarten. Denn noch haben die wilden Anschuldigungen der Staatsanwaltschaft bestimmt kein Ende.

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