Samstag, Dezember 21, 2013

Racial Profiling – Bitte schalten Sie die Bundespolizei jetzt ab!

Neue Klagen gegen rassistische Kontrollen der Bundespolizei


Es ist gut ein Jahr her, dass die Richter_innen des Oberverwaltungsgericht Koblenz im Rahmen der mündlichen Verhandlung am 29. Oktober 2012 die „anlasslose Kontrolle“ eines Studenten deutscher Staatsangehörigkeit durch die Bundespolizei in einem Regionalzug zwischen Kassel und Frankfurt am Main für rechtswidrig erklärt haben, weil dessen dunkle Hautfarbe ausschlaggebendes Kriterium für die Ausweiskontrolle gewesen sei. Diese Maßnahme, so das Gericht – entgegen der Vorinstanz –, habe daher gegen das Diskriminierungsverbot in Art. 3 Abs. 3 des Grundgesetzes verstoßen.

Eilig war die Bundespolizei bemüht gewesen, den Fall herunter zu spielen: Brav entschuldigte sie sich beim Kläger, den die Polizei vorher wegen Beleidigung vergeblich versucht hatte, zur Verantwortung zu ziehen, weil dieser die Kontrolle als erniedrigend, diskriminierend empfand und daher mit Methoden der SS vergleichen hatte. Trotz der Entschuldigung hatten Polizeiführung, Polizeigewerkschaften und Innenministerium laut im Chor betont, dass Menschen grundsätzlich nicht ausschließlich wegen ihrer Hautfarbe kontrolliert würden, und daher das Urteil nur in Hinblick auf den konkreten Einzelfall nachvollziehbar sei (vgl. z.B. die Erklärung des Innenministers Uwe Schünemann im Sitzung des Niedersächsischen Landtages am 09.11.2012).

Von wegen Einzelfälle

Dass es sich bei Racial Profiling keineswegs um Einzelfälle aufgrund eines fehlerhaften Verhaltens einzelner Polizeibeamt_innen handelt, vielmehr um eine in der Aufgabe z.B. der Bundespolizei zur Migrationskontrolle und den dazu erlassenen Befugnisnormen für die Durchführung von Personenkontrollen selbst angelegte mittelbare Diskriminierung von Menschen aufgrund ihres Aussehens darstellt, lässt sich nicht nur auf Bahnhöfen und in Zügen beobachten. Schon in einer kleinen Studie des akj-berlin vom Mai 2012 wurde der Befund festgestellt, dass ein Ende der Praktiken von Racial Profiling nicht ohne eine Entkriminalisierung der Aufenthalts- und Asylgesetzgebung möglich ist. Was freilich bedeuten würde, dass die Bundespolizei ihre Hauptaufgabe verlieren würde.

In den letzten Monaten hat sich ein Netzwerk von Selbst- und Bürger_innenrechtsgruppen gebildet, das solche Praktiken in die politische Auseinandersetzung und konkrete Fälle vor die Gerichte bringen will. Ihm gehört neben der Initiative Schwarze Menschen in Deutschland (ISD-Bund), der Internationalen Liga für Menschenrechte e.V., der Kampagne für Opfer rassistischer Polizeigewalt (KOP), dem Büro zur Umsetzung von Gleichbehandlung (BUG), dem Republikanischen Anwältinnen- und Anwälteverein e.V. (RAV), der Vereinigung Demokratischer Juristinnen und Juristen e.V. (VDJ), dem Komitee für Grundrechte und Demokratie e.V. und der National Association for the Advancement of Colored People (NAACP) auch der akj-berlin an.

Racial Profiling kostet

In folge der breiten Aufklärungskampagne vor allem des ISD und der Dokumentationsarbeit von KOP konnte eine Vielzahl von Fällen gesammelt werden, in denen Menschen allein aufgrund ihrer Hautfarbe von der Polizei zur Herausgabe ihrer Ausweisdokumente aufgefordert wurden. Nur selten wehren sich die Betroffenen im Nachhinein. Eine offizielle statistische Erfassung solcher Kontrollen gibt es zudem nicht. Das Netzwerk hat es sich daher zur Aufgabe gemacht, die Betroffenen aufzuklären und bei Beschwerden und Klagen zu unterstützen. Dazu gehört auch die auf Initiative des ISD gestartete Kampagne "Racial Profiling kostet!"

Das System ist simpel: Einfach eine im Netz bereit gehaltenes Anschreiben mit der Aufforderung zur Zahlung von Schadensersatz  ausfüllen und an die Bundespolizei sowie zwecks statistischer Erfassung an KOP senden. Ziel der Aktion ist es, eine Briefwelle an die Bundespolizei auszulösen. Als Behörde kann sie mehrmalig auftretene Beschwerden nicht einfach ignorieren. Damit wird ein doppelter Zweck erfüllt: Einerseits werden Menschen durch die Briefe auf einem niedrigschwelligen Niveau handlungsfähig gemacht. Andererseits wird so das strukturelle Problem des Racial Profiling sichtbar und dokumentierbar.

Neue Verfahren gegen die Bundespolizei

Diese Woche Mittwoch hat der Göttinger Rechtsanwalt Sven Adam, der auch schon den Kläger gegen Racial Profiling vor dem VG und OVG Koblenz vertreten hatte, zwei weitere Klagen vor den Verwaltungsgerichten (VG) Stuttgart und Köln erhoben. 

Das Verfahren vor dem VG Stuttgart behandelt die Klage eines 28-jährigen Angestellten der Deutschen Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit aus Berlin. Er wurde am 19.11.2013 in der ersten Klasse eines ICE zwischen Baden-Baden und Offenburg als einziger Fahrgast im Waggon ohne erkennbaren Anlass offensichtlich wegen seiner „Hautfarbe“ kontrolliert. Drei Bundespolizisten notierten seine Personalien und glichen sie mit polizeilichen Datenbanken ab. Als Grund wurde dem Kläger nur mitgeteilt, dass sich der ICE im Grenzgebiet bewege.

Das VG Köln muss sich dagegen mit der Klage eines 38 Jahre alten Heilpraktikers aus Witten beschäftigen. Während er am 12.11.2013 im Hauptbahnhof Bochum auf seine Lebensgefährtin wartete, wurde er ebenfalls einzig wegen seiner "Hautfarbe" von zwei Bundespolizisten kontrolliert. Zur Begründung hieß es seitens der Beamten lediglich, man suche nach Menschen aus Nordafrika und Syrien.

Die gesetzliche Grundlage für solche „verdachtsunabhängigen“ Kontrollen findet sich in § 22 Abs. 1a des Bundespolizeigesetzes (BPolG). Hiernach können die Beamtinnen und Beamten zur Verhinderung illegaler Einreise aufgrund von „Lageerkenntnissen und grenzpolizeilicher Erfahrung“ ohne Vorliegen einer Gefahr selbst entscheiden, wen sie kontrollieren. Obwohl es das Grundgesetz in Art. 3 Abs. 3 verbietet, Menschen wegen der Herkunft oder der Hautfarbe zu diskriminieren, geraten regelmäßig Menschen in die Kontrollen, die in den Augen der Bundespolizistinnen und -polizisten „nicht deutsch“ aussehen.

„Das Bundespolizeigesetz selbst schafft die Voraussetzungen für den sich in den deutschen Bahnhöfen und Zügen immer wiederholenden Verstoß gegenden Gleichheitsgrundsatz. Wir streben deshalb nun auch die gerichtlicheKlärung der Frage an, ob § 22 Abs. 1a BPolG mit dem Grundgesetz nochvereinbar ist“, erklärt Rechtsanwalt Sven Adam: „Wir werden daher den Gerichten im Laufe derVerfahren auch die unmittelbare Vorlage der Sache zum Bundesverfassungsgericht vorschlagen.

Das Problem liegt in der Aufenthaltsgesetzgebung

Auch der akj-berlin unterstützt die Klagen, um den Nachweis der Existenz einer Praxis von Racial Profiling zu führen und dessen Verfassungswidrigkeit feststellen zu lassen. Teil dieser Feststellung muss auch die Nichtigkeit der zahlreichen Normen in Polizei- und Aufenthaltsgesetzen sein, die Racial Profiling hervorrufen oder befördern. akj-Sprecherin Stefanie Richter bleibt jedoch skeptisch:
"Wenn die Polizei aufgrund eines Gesetzes nach Personen wegen Verstößen gegen aufenthaltsrechtliche Bestimmungen sucht, dann wird sie den kontrollierten Personen die Ausländereigenschaft immer zuschreiben. Das heißt, selbst wenn die Polizei hier vorgeblich nur auf neutrale Kriterien wie Staatsangehörigkeit abstellt, wird sie ihre Auswahl stets auf der Grundlage biologischer Zuschreibungen treffen. Das sind aber rassistische Zuschreibungen, denn hier wird aufgrund äußerer Merkmale eine bestimmte Herkunft unterstellt. Natürlich ist das Diskriminierung und ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 3 GG. Das wird erst aufhören, wenn auch die Sondergesetzgebung gegen Nichtdeutsche aufhört. Wir fordern daher die Abschaffung der Rassismus produzierenden und reproduzierenden 'Ausländergesetzgebung' in Deutschland und der EU."

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Montag, Dezember 16, 2013

Oberstes Gericht urteilt Indien in die Kollonialzeit zurück

Zur Rekriminalisierung von Homosexualität in Indien

Das Oberste Gericht in Indien war bisher für eine eher liberale und wegweisende Rechtsprechung bekannt, die zwischen den verschiedenen Religionen vermittelnd wirkte und gegen die überwiegend in Kraft gebliebenen Kollonialgesetzgebung ein modernes Verständnis vom rule of law setze. Am Mittwoch, den 11. Dezember, fällte es indes ein Urteil, das ein 2009 vom Oberen Gerichtshofs in Delhi für menschenrechtswidrig erklärtes Kolonialgesetz aus dem Jahre 1861 wieder in Kraft setzte. Dieses qualifiziert nunmehr – wieder – u.a. gleichgeschlechtlichen Sexualverkehr zu einem Verbrechen, das mit bis zu lebenslanger Freiheitsstrafe geahndet werden kann.

"Unnatürlich" ist alles, was nicht der Fortpflanzung dient

Dabei handelt es sich um den Abschnitt 377 des Strafgesetzbuchs, der eine Reihe sexueller Praktiken als ‘unnatürlich’ kriminalisiert und mit Haft bedroht. Tatbestandlich richten sich diese Gesetze gegen jeglichen "Geschlechtsverkehr gegen die Ordnung der Natur", was im Grunde alle nicht der Fortpflanzung dienenden sexuellen Praktiken erfasst, neben homosexeullen Handlungen also z.B. auch Oralverkehr.

Praktizierte Homosexualität ist in Indien seit der Zeit von Königin Victoria formal strafbar. Das Gesetz war 1861 während der britischen Kolonialherrschaft und zur Hochzeit des Viktorianismus kodifiziert worden. Wortgleich findet es sich auch nahezu in allen anderen (ehemaligen) britischen Herrschaftsgebieten wieder. Viele der postkolonialen Staaten – so auch Indien – haben das Gesetz nie abgeschafft. 

Verstoß gegen die Menschenrechte und Privatsphäre 

Erst 2009 hatte der Obere Gerichtshof in Delhi in einem von 2002 bis 2009 andauernden Prozess entschieden, die Strafverfolgung einvernehmlicher sexueller Handlungen von Erwachsenen auszusetzen. Es sah in den Bestimmungen des Abschnitt 377 einen nicht gerechtfertigten, mithin verfassungswidrigen Eingriff in die Menschenrechte und die Privatsphäre der Bürger_innen.

Für die Schwulen, Lesben, Bisexuellen und Transgender in Indien hatte die Entscheidung von 2009 bedeutet, dass es nunmehr zum Beispiel möglich war, Clubs offen zu betreiben und dass Menschen nicht mehr so leicht durch die Polizei und Dritte erpresst werden konnten. Vor allem aber hatte das Gericht ein Zeichen gegen die Diskriminierung von Menschen aufgrund ihrer sexuellen Orientierung gesetzt und das Recht auf die Privats- und Intimsphäre aller Bürgerinnen und Bürger gestärkt.

Gegen das Urteil von 2009 zogen konservative politische und religiöse Gruppen vor das Oberste Gericht Indiens. Dieses entschied am Mittwoch, dass die Bestrafung der Homosexualität nicht tiefgreifend in die Rechte der Betroffenen eingriffe und daher keine verfassungswidrige Diskriminierung darstelle. Damit ist die fortschrittliche Judikatur von 2009 aufgehoben und das koloniale Sexualstrafrecht wieder hergestellt worden.

Kein Zurück ins Kollonialrecht!? 

Gegen die regressive Entscheidung des Obersten Gerichts gingen am Sonntag, dem kurzfristig ausgerufenen ‘Global day of Rage’, weltweit Menschen in 36 Städten auf die Straße, so auch in Berlin. Weitere Proteste fanden in einer Reihe von indischen Städten (Ahmedabad, Bangalore, Bhopal, Bombay, Chennai, Delhi, Hyderabad, Kalkutta, Lucknow, Mangalore,  Mysore, Nagpur, Puna) aber auch in Ann Arbor, Boston, Cambridge, Hamburg, Houston, London, Los Angeles, Montreal, New York, Philadelphia, San Francisco, Sydney, Toronto und Vancouver statt.

Die Aktivist_innen verlangten, dass der Abschnitt 377 umgehend abgeschafft wird und dass das Oberste Gericht die Menschenrechte und Privatsphäre indischer Bürgerinnen und Bürger anerkennt und fördert statt sie einzuschränken. Zwar besteht für sie noch die Möglichkeit, Berufung einzulegen oder auf eine Änderung der Gesetzeslage zu drängen. Erfolgversprechend erscheint das aber nicht: In Indien finden in wenigen Monaten Neuwahlen statt und es besteht die Gefahr, das gerade unter einer eventuellen Hindu-konservativen Regierung der Abschnitt 377 auch in Zukunft bestehen bleibt.

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Donnerstag, Dezember 05, 2013

Polizeieinsatz gegen Blockupy-Protest für rechtswidrig erklärt

Ein vom akj unterstützter Demonstrant von Blockupy 2012 gewinnt Klage beim VG Frankfurt a.M. gegen Ingewahrsamnahme

Das Verwaltungsgericht Frankfurt am Main hat mit Urteil vom 25.11.2013 sämtliche polizeilichen Handlungen gegen ein Mitglied des akj-berlin für rechtswidrig erklärt, der sich an den Protesten des Blockupy-Bündnisses in Frankfurt im Mai 2012 beteiligen wollte, der aber noch im Bus von der Autobahn weggeleitet und zunächst nach Eschborn verbracht, dort in Gewahrsam genommen und anschließend auf die Gefangenensammelstelle nach Frankfurt verbracht wurde. Insgesam 5,5 Stunden wurde dem Kläger so die Freiheit entzogen. Zuvor war er und die übrigen Busreisenden mehrfahr durchsucht und deren Identität überprüft worden, es wurden  Lichtbilder gefertigt und persönliche Gegenstände beschlagnahmt.

Nachdem bereits in einem Parallelverfahren das großflächige Aufenthaltsverbot für Frankfurt am Main nachträglich als unverhältnismäßig, damit rechtswidrig festgestellt und dieses Verfahren übereinstimmend für erledigt erklärt worden war, sei der (alleinige) Grund für die Ingewahrsamnahme des Klägers durch die Polizei weggefallen. Damit sei auch die Freiheitsentziehung insgesamt rechtswidrig geworden, so Verwaltungsrichter Liebetanz in seiner Urteilsbegründung. Die Polizei hatte ihre Maßnahmen nämlich damit begründet, die Ingewahrsamnahme der Protestierenden diene zur Durchsetzung des Platzverweises (aus der Frankfurter Innenstadt). Die nachträgliche Behauptung der Behörde, die Maßnahmen seien unerlässlich gewesen, um eine unmittelbar bevorstehende Begehung oder Fortsetzung einer Straftat oder Ordnungswidrigkeit mit erheblicher Bedeutung für die Allgemeinheit zu verhindern (§ 32 Abs. 1 Nr. 2 HSOG), ließ das Gericht nicht gelten. Hierzu fehle es schon an einem substantiierten Vortrag der Polizei, dass der Kläger beabsichtigt habe, konkrete Straftaten zu begehen. Auch habe die Polizei in allen Einsatzdokumenten nicht auf diesen Aspekt der Gefahrenabwehr abgestellt; dieser könne also "keine entscheidende Rolle gespielt" haben:
»Selbst wenn man sich auf den Standpunkt der Behörde stellt – was das Gericht nicht für gerechtfertigt hält –, wonach die Durchsetzung des Aufenthaltsverbotes und die Verhinderung von Straftaten als gleichberechtigte Belange der Ingewahrsamnahme zugrunde lagen, ist diese Maßnahme ermessensfehlerhaft, wenn einer der wesentlichen Belange, nämlich die Durchsetzung des Aufenthaltsverbots, wegfällt. Denn die damals handelnden Beamten haben damit in ihre Ermessenserwägung Gesichtspunkte eingestellt, die sie nicht hätten einstellen dürfen.«
Weil die Ingewahrsamnahme rechtswidrig war, seien auch die in diesem Zusammenhang getroffenen polizeilichen Begleitmaßnahmen rechtswidrig gewesen. Das Gericht gab der Fortsetzungsfeststellungsklage daher vollumfänglich statt und legte die Kosten des Verfahrens dem Land Hessen zur Last. Als Feststellungsinteresse, das für die Zulässigkeit der nachträglich erhobenen Klage wesentlich ist, attestierte das Verwaltungsgericht rechtliche und ideelle Beweggründe:  »sowohl unter dem Gesichtspunkt der Wiederholungsgefahr als auch unter dem Gesichtspunkt der Rehabilitation
Stefanie Richter vom akj-berlin erklärt dazu: »Es ist höchste Zeit, dass hier ein hessisches Verwaltungsgericht das Selbstverständliche festgestellt hat: Dass nämlich die Polizei sich nicht einfach durch rechtswidrige Zwangsmaßnahmen eine Rechtsgrundlage für ihre permanenten Grundrechtseingriffe selbst schaffen darf – frei nach dem Motto: 'Wird schon nicht die Falschen treffen.' Die Schmach von Frankfurt lässt sich damit indes nicht wettmachen, solange der Polizeistaat auch im nacheilenden Rechtsstaat das Unrecht exekutieren kann

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