Freitag, Mai 02, 2014

Unschöner Abschluss der Mai-Proteste in Berlin

Das Grundrechtekomitee beobachtete die Demonstrationen rund um den 1. Mai 2014 – Ein Zwischenfazit


Das aus unserer Sicht alt-ehrwüridige Komitee für Grundrechte und Demokratie, kurz: Grundrechtekomitee, setzt sich bereits seit 1980 für Menschen- und Bürgerrechte ein. Insbesondere ihre Demonstrationsbeobachtungen stellen einen wichtigen Beitrag zum Schutz des Grundrechts auf Meinungs- und Versammlungsfreiheit dar. So hatten sich Aktivist_innen des Grundrechtekomitees bereits in der Walpurgisnacht an der Demonstranstrationsbeobachtung des akj-berlin beteiligt. Zu den von ihm beobachteten Versammlungen rund um den 1. Mai 2014 zog das Komitee heute Bilanz, die wir nachfolgend dokumentieren:

Nach lebendigen politischen Versammlungen zehntausender Bürger_innen vom 26. April bis zum 1. Mai beendet die Polizei den 1. Mai mit einen gewalttätigen, gefährlichen und unverhältnismäßigen Einsatz auf dem U-Bahnhof Hallesches Tor

Die Demonstrationsbeobachtungsgruppe Berlin des Komitees für Grundrechte und Demokratie hat zum Schutz des Versammlungsrechts die Versammlungen vom 26. April bis zum 1. Mai 2014 in Berlin mit zahlreichen Beobachter_innen begleitet. Die Beobachtung konzentrierte sich auf den Protest gegen den geplanten Aufmarsch der NPD in Berlin-Mitte und -Kreuzberg, die Demonstration „Antikapitalistische Walpurgisnacht“ am 30. April 2014 ab 19 Uhr in Berlin-Wedding („Allet oder nüscht – auf in den Wedding zur Antikapitalistischen Walpurgisnacht 2014 – gegen Rassismus und soziale Ausgrenzung“), die nicht angemeldete Versammlung „für ein gutes Leben mit Zugang zu Wohnraum, Bildung, Gesundheit & Kultur für Alle“ am 1. Mai 2014 ab 17 Uhr in Berlin-Kreuzberg (MyFest) sowie die „Revolutionäre 1. Mai Demonstration“ am 1. Mai 2014 ab 18 Uhr in Berlin-Kreuzberg.
Alle vom Grundrechtekomitee beobachteten Versammlungen zeigen deutlich: Da wo sich die Polizei zurückhält – ob am 26. April bei den Protesten gegen die NPD, bei der „Antikapitalistischen Walpurgisnacht“, der nicht angemeldeten Demonstration vom MyFest oder der „Revolutionären 1. Mai Demonstration“ – verlaufen die Demonstrationszüge und Versammlungen lebendig sowie weitgehend ohne Sachbeschädigungen und gewalttätige Auseinandersetzungen. Auch der Abzug der Demonstrierenden nach Ende der Versammlungen verlief schnell und ohne Probleme, so lange sich die Polizei zurückhielt.
Die vermeintlich gezielten Festnahmen der Festnahmeeinheiten jedoch, die in Teilbereichen der Versammlungen oder beim Abzug der Demonstrierenden zahlreich stattfanden, schufen gefährliche Situationen, gefährdeten Demonstrierende und Unbeteiligte.
Eine solche – vermeintlich gezielte – Festnahme durch die Bundespolizei erzeugte am Halleschen Tor eine lebensgefährliche Situation für die abziehenden Versammlungs-teilnehmer_innen. Als eine Festnahmeeinheit der Bundespolizei auf die beengte und völlig überfüllte U-Bahnstation stürmte und eine Person festnahm, kam es zu tumultartigen Szenen. Die Polizei setzte Pfefferspray und Fäuste ein. Nachrückende Berliner Einheiten eskalierten durch ihr brutales Vorgehen die Situation weiter. Auf dem nun noch überfüllteren U-Bahnhof, auf der Treppe und am Eingang zum U-Bahnhof gab es zahlreiche Verletzte. Statt für die Sicherheit der Beteiligten zu sorgen, tätigte die Polizei weitere, die Situation eskalierende Festnahmen. Das Vorgehen der Polizei am Halleschen Tor kann nur als unverhältnismäßig und gefährlich bezeichnet werden.
Auch bei den Protesten gegen den NPD-Aufmarsch am 26. April waren es die vermeintlich gezielten Festnahmen in größeren Menschenmengen, die eine permanente Unruhe erzeugten, ruhige Situationen eskalierten und so Auseinandersetzungen zwischen Demonstrierenden und Polizei provozierten.
Diese Festnahmen deuten auf eine hohe Anzahl von Polizist_innen in zivil in der Versammlung hin, die versuchen, Verstöße gegen das Versammlungsrecht beweissicher zu dokumentieren und Versammlungsteilnehmer_innen für spätere Festnahmen zu „markieren“. Ein massiver Einsatz von nicht gekennzeichneten Polizist_innen sorgt für Misstrauen in Versammlungen und setzt das Recht auf selbstbestimmte, eigenverantwortete Versammlungen außer Kraft.

Weitere Kritikpunkte sind:

Massive Vorkontrollen: Bei der „Antikapitalistischen Walpurgisnacht“ in Berlin-Wedding führte die Polizei massive Vorkontrollen vor Beginn der Versammlung durch. Diese erfolgten gegen bestimmte Personengruppen und wurden im Laufe der Zeit verstärkt. Außerdem erfolgten zahlreiche und teilweise langwierige Identitätsfeststellungen. Das Verbot des Mitführens von Glasflaschen wurde genutzt, um umfassende Dursuchungen zu rechtfertigen, bei denen auch ungefährliche Gegenstände wie etwa Kleidungsstücke einbehalten wurden. Auf diese Weise wurden schon im Vorfeld der Versammlung potenzielle Versammlungsteilnehmer_innen eingeschüchtert (vgl. dazu den Beobachtungsbericht zur „Antikapitalistischen Walpurgisnacht“ des arbeitskreises kritischer juristinnen und juristen an der Humboldt-Universität zu Berlin).

Kritik an „Durchmischungstaktik“ der Berliner Polizei: Gegen Ende der Versammlungen provozierte die „Durchmischungstaktik“ der Polizei, die mit größeren behelmten Einsatzgruppen mehrfach zügig durch die Menge lief, um sie zu zerstreuen, die Versammlungsteilnehmer_innen. So geschehen bei den Anti-NPD-Protesten am 26. April (dort auch während der Proteste), nach Abschluss der Versammlung in der „Walpurgisnacht“ und am Ende der 18-Uhr-Demo vor der Beendigung durch die Veranstalter_innen.

Kritik an fehlender Kennzeichnung der Polizei in anderen Bundesländern und bei der Bundespolizei: Bei den Versammlungen rund um den 1. Mai waren zahlreiche Polizeieinheiten aus anderen Bundesländern in Berlin im Einsatz. Insbesondere die zahlreichen Beweissicherungs- und Festnahmeeinheiten (BFE) sind dadurch aufgefallen, dass sie alle Kennzeichen (Länderwappen etc.) entfernt oder verdeckt haben, wodurch sie völlig anonym im Einsatz agieren konnten.

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Donnerstag, Mai 01, 2014

Beobachtungsbericht zur antikapitalistischen Walpurgisnacht

Am 30.04.14 führte der akj-berlin zusammen mit dem Komitee für Grundrechte und Demokratie eine Demonstrationsbeobachtung der „antikapitalistischen Walpurgisnacht“ in Berlin-Wedding durch. Die Demonstration richtete sich unter dem Motto „Allet oder Nüscht“ gegen Rassismus und soziale Ausgrenzung. An der Beobachtung beteiligten sich 20 Personen.

Bereits vor Beginn der Versammlung führte die Polizei massive Vorkontrollen durch. Diese erfolgten auffällig selektiv und wurden im Laufe der Zeit verstärkt. Außerdem erfolgten zahlreiche und teilweise langwierige Identitätsfeststellungen. Das Verbot des Mitführens von Glasflaschen wurde genutzt, um umfassende Dursuchungen zu rechtfertigen, bei denen auch ungefährliche Gegenstände, wie etwa Kleidungsstücke einbehalten wurden. Auf diese Weise wurden schon im Vorfeld der Versammlung potenzielle Demonstrationsteilnehmer_innen eingeschüchtert.

Die Versammlung wurde von einem massiven Polizeiaufgebot begleitet. Neben der gesamten zweiten Bereitschaftspolizeiabteilung und einer Direktionshundertschaft waren auch Kräfte aus Thüringen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und Bremen im Einsatz. Die Nicht-Berliner Einheiten trugen zumeist keine individuelle Kennzeichnung. Irritierend war, dass auch Feldjäger der Bundeswehr sowie Mitarbeiter_innen des Bundesinnenministeriums anwesend waren.

Die Polizeibeamt_innen trugen ausnahmslos Protektorenanzüge und andere kampferprobte Schutzmontur; auch die Helme wurden im Verlauf der Demonstration aufgesetzt. Teilweise verfügten sie über Schutzschilde. Streckenweise wurde der Demonstrationszug mit Hamburger Gittern eingeengt. In der Nähe der Demonstration wurden Hunde bereitgehalten. Vereinzelt wurde Flutlicht eingesetzt.

Der Demonstrationszug begann mit mehreren Tausend Teilnhmer_innen lautstark, kraftvoll und mit hoher Geschwindigkeit. Er bot den Polizeikräften jedoch keinen Anlass in die Demonstration einzugreifen. Dennoch begannen diese ab Willdenowstraße, Ecke Sparrstraße bis Leopoldplatz, Spalier zu laufen. Seitentranparente waren daher teilweise nicht lesbar. Immer wieder musste der Demonstrationszug unterbrochen werden, um in langwierigen Verhandlungen der Veranstalter_innen mit der Einsatzleitung den Rückzug der Polizeiketten zu erreichen. Vor dem Polizeirevier in der Pankstraße kam es zu Rangeleien. Anschließend lief die Polizei wieder im Spalier und teilweise dreireihig neben der Demo.

Die seit einigen Jahren praktizierte Polizeitaktik, am Ende der Demo durch Abriegelung und „Durchmischung“ gezielte Festnahmen sowie eine Umfassende polizeiliche Erfassung der Teilnehmer_innen durchzuführen, konnte durch die einige hundert Meter vor dem Endpunkt von Seite der Veranstalter_innen erklärte Auflösung der Versammliung zumindest kurzzeitig irritiert werden. Dennoch wurden in der Umgebung des U-Bahnhof Pankstraße 9 Festnahmen von uns beobachtet.

Stefanie Richter, Pressesprecherin des akj-berlin kommentiert außerdem: „Anlasslose Videoaufzeichnungen per Handkamera müssen sich die Teilnehmer_innen von Berliner Demonstrationen schon lange gefallen lassen. Heute wurden darüberhinaus von mehreren Häuserdächern Übersichtsaufnahmen angefertigt, ohne dass dies den Veranstalter_innen mitgeteilt wurde. Von einer wirklich neuen Qualität ist aber die versteckte Kamera im Reverse des Berliner Beamten mit der Dienstnummer C1000, mit welcher dieser nach Auflösung der Demonstration durch die Menge der Teilnehmer_innen lief und diese mutmaßlich abfilmte. Fraglich bleibt ob weitere Polizist_innen mit dieser Technik ausgerüstet sind und auf welcher gesetzlichen Grundlage diese verdeckte Aufnahmen angefertigt werden.“

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