Freitag, Februar 22, 2008

Kisten packen bei der Berliner Justiz?

Neulich wurde ich auf dem Weg zu einer Referendars-AG im Gebäude des Kammergerichts Zeuge folgender Szene :

Zwei adrett, so businessmäßig gekleidete junge Frauen waren gerade dabei, im Eingangsbereich ein Stuckornament zu fotografieren, als einer der für die Eingangskontrollen zuständigen Justizwachtmeister auf sie zuging – mit einem Gesichtsausdruck zwischen Verwunderung und Verärgerung ("Watt mach'n die'n da?"). Um die Sicherheitsbedenken des Justizwachtmeisters zu zerstreuen, reagierte eine der Frauen - in leicht triumphierenden Unterton - mit den Worten "Wir sind von der BIM. Wir kommen quasi vom Vermieter" Da konnte ich mir nicht verkneifen, gegenüber meinen ebenfalls gerade die Schleuse passierenden KollegInnen zu witzeln: "Watt denn, woll'n die jetze das Kammergericht verkaufen?"

Als ich dann diesen Zeitungsbericht las, wonach das ehemalige Ostberliner Polizeipräsidium, das im Moment noch von der Berliner Polizei genutzt wird, zu einem Hotel umgebaut wird, hatte ich Zweifel, ob das tatsächlich nur ein Witz bleiben sollte. Meine Zweifel verstärkten sich, als dann ein paar Tage später diese Meldung auftauchte. Danach wird geprüft, alle möglichen Berliner Gerichte auf Umzugstournee zu schicken, damit sie möglichst alle in landeseigenen Immobilien untergebracht sind, um Miete zu sparen.

Ich sehe es schon kommen, dass das Kammergericht in diesem Hohenschönhausener Plattenbau landet.

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Montag, Februar 18, 2008

Sinnlose Gewalt, Piraten und Berlinale

Bumm. Der am Boden liegende Dealer wird von dem Polizisten hingerichtet, die Gewaltorgie ist zu Ende. Abspann. Alle klatschen. Außer uns.

Meine Begleiterin und ich waren uns einig: Gut war der Film „Tropa de Elite “ von José Padilha keinesfalls. Die brutale Gewalt, mit der Elitepolizeitruppe von Rio de Janeiro gegen Drogendealer vorgeht wurde zwar ungeschminkt gezeigt, aber keineswegs kritisiert. Im Gegenteil, Hauptmann Nascimiento rechtfertigt aus dem Off, warum das alles nötig ist: Wenn wir sie nicht zuerst erschießen, erschießen sie uns und die Zeugen reden doch nicht, wenn sie nicht gefoltert werden. Und der Job ist eh nur was für ganze Männer, also solche wie ihn.

Zwei Tage lang erzählte ich allen meinen FreundInnen wie schlecht der Film sei, wie unkritisch mit der Gewalt umgegangen wird, wie sehr die eigentlichen Gewinner des Drogenhandels ausgeklammert werden – und vor allem ihre Verstrickung mit der Politik.

Bis ich einen Freund traf, der total begeistert von der Tatsache war, dass der Film den Goldenen Bären gewonnen hatte. Seine Begeisterung zielte gar nicht auf das Werk selbst, das er in Teilen für „nicht so gelungen“ hielt (wie zum Beispiel die Hinrichtungsszene zum Schluß), aber so sagte er, die brasilianische Polizei habe versucht, den Film verbieten zu lassen. Doch 11 Millionen Leute in Brasilien hätten die Piratenversion des Films gesehen, die vorab im Internet zu haben war und deshalb wäre der Film nicht mehr zu stoppen gewesen.

Tief im Zweifel ging ich erst mal googeln und fand heraus, dass der Regisseur diesen Film im Kontext seines ersten Werks verstanden wissen wollte: In dem Dokumentarfilm „Ônibus 174“ ergründete Padilha 2002 den
Lebensweg von Sandro do Nascimento, einem afrobrasilianischen Jugendlichen, der in Rio einen Linienbus entführt und eine Frau umgebracht hatte. Dann wurde er selbst erschossen. Padilha deckte damals auf, dass Sandro do Nascimento der einzige Überlebende eines Massakers der Polizei an einer Gruppe Straßenkinder gewesen war. Jetzt wollte er die andere Seite zeigen, deshalb trügen die Figuren auch den gleichen Nachnamen.

Tja, schade, dass sie „Ônibus 174“ nie auf der Berlinale gezeigt haben. Aber wir können wohl davon ausgehen, dass das brasilianische Publikum den Dokumentarfilm kannte und ein guter Teil der 11 Millionen Piraten vor diesem Hintergrund Padilhas neues Werk sehen wollten. Ich habe jedenfalls beschlossen, von jetzt ab keine Meinung mehr zu dem Film zu äußern.

Das eigentlich gewinnbringende Ergebnis meiner Recherchen aber war dieser Beitrag von Gunda Meyer im Menschenrechtsmagazin 2005 zu Polizeigewalt in Brasilien:
Manchmal hilft eben nur Lesen.

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Dienstag, Februar 12, 2008

akj-Gruppenpraktikum

Die »Generation Praktikum« hat es schon nicht leicht im Leben. Aber bevor das Gejammer wieder los geht, sei hier nachdrücklich angemerkt, welche Möglichkeit es neben »Ausbeutung all inclusive« und »Langeweile ohne Ende« noch so zur freien Auswahl gibt.

Vortreffen: Donnerstag, 14. Februar 2008 | 18.30 Uhr

Raum 229, Juristische Fakultät

Vom 3. März bis 4. April 2008 findet auch in diesem Jahr das akj-Gruppenpraktikum statt. Als echte Alternative zum Aktenmappenträger-, Kopierer- oder Kaffekochpraktikum ist es seit Jahren an den Berliner Rechtsfakultäten etabliert: Praxis erleben bei linken, kritischen AnwältInnen und gleichzeitig was lernen - so lässt sich das Konzept beschreiben. Oder auch so: 20 Jurastudierende werden je nach individueller theamtischer Präferenz an 20 verschiedene Anwältinnen und Anwälte vermittelt, wo sie ein Monat lang ihr Praktikum in bester Betreuung absolvieren. Damit aber nicht jedeR alleine in den Kanzleien schwitzen muß, treffen sich die an dem Praktikum Teilnehmenden jeden Nachmittag in der Universität, wo eine Anwältin bzw. ein Anwalt zu seinen spezifischen Arbeitsschwerpunkten, zu rechtspolitischen Themen oder den Spezifika des AnwältInnenberufs referiert.


Wie das ankommt, lässt sich z.B. hier nachlesen:
"Warum eigentlich immer allein und auf eigene Faust ins Praktikum? Später arbeitet mensch auch neben KollegInnen. Also lässt sich doch unter KommilitonInnen direkt mal damit anfangen, indem mensch gemeinsam in eine Kanzlei geht oder sich zumindest nach der Büroarbeit regelmäßig trifft und sich über
seine Tätigkeit austauscht. Andere Frage: Weshalb gleich von 0 auf 100 den ganzen Tag im Büro mit Aktenstudium verbringen? Hinter beinahe jedem Fall steckt noch so viel mehr als juristische Dogmatik.
Für manchen ist sogar ziemlich genaues Praxiswissen gefragt. Doch woher nehmen, wenn nicht im standardisierten Vorlesungsinhalt inbegriffen?
Hier bietet sich ein nachmittäglicher Intensivkurs für LeidensgenossInnen der Unwissenheit hervorragend an, um den Horizont zu erweitern und gleichzeitig den Arbeitstag aufzulockern. Dabei lassen sich dann bestimmte Fachgebiete, neueste Gesetze und aktuelle Fälle ebenso besprechen wie die Tipps und Tricks des Anwaltsberufes. Und wer könnte das wohl besser als die AnwältInnen selbst. Also warum die PraktikerInnen in ihr Büro verbannen und aus der Uni raushalten?
Wie angenehm sich das Hinterfragen in Vorlesungen vermittelter Dogmen ausnehmen kann, lässt sich wunderbar jedes Jahr beim akj-Gruppenpraktikum erleben, was soviel heißt wie vier Wochen lang Zusammenarbeit mit einem kritischen Anwalt oder einer kritischen Anwältin, inklusive MandantInnenbesprechungen, Gerichtsterminen, Gefängnisbesuchen und dabei kein einziges Mal stupides Kopieren und Kaffeekochen. Dementsprechend ist die Wirkung weit mehr als das bloße Erfüllen einer beliebigen Examenszulassungsvoraussetzung. Neben dem Einblick in den anwaltlichen Erfahrungsschatz ergibt sich unter Umständen auch das einoder andere persönliche Gespräch, welches für die berufliche und studentische Selbstreflexion durchaus hilfreich sein kann. Nicht minder wirkungsvoll sind die Vortragsthemen der gemeinsamen Nachmittage.
Wann bekommt mensch schon mal einen über zwei Stunden langen Intensiveinführungskurs in die sozialrechtliche Problematik »Hartz IV«, verbunden mit der alles entscheidenden Frage der Prozesskostenhilfe? Woher, wenn nicht von einer Praktikerin, sollte mensch erfahren, dass Nebenklagevertretung von Frauen und Kindern nicht so einfach ist, wie es scheint? Schnell wird klar, dass jedes spezifische Rechtsgebiet seine ganz eigene Aufmerksamkeit fordert.
Im AusländerInnenrecht, Versammlungsrecht, genauso wie im Arbeitsrecht können politische Erfahrungen und Detailkenntnisse aus dem täglichen Anwendungsbereich eine erheblich wichtigere Bedeutung für einen Fall erlangen als der Gesetzestext selbst. Auf die Dogmatik allein kommt es nicht an. Ein weiteres Phänomen: Zum Beispiel im Problemfeld Hausbesetzung vereinen sich mehrere Rechtsgebiete, wie Polizeirecht, Strafrecht, Mietrecht und Vereinsrecht, die durch unwirklich zurechtgestutzte Sachverhalte verwöhnte Studierende erst mal zu bändigen lernen müssen. Einfacher wird das im Bereich Hochschulrecht. Nicht jedeR weiß, was das allgemeinpolitische Mandat sein soll, aber zumindest bewegt mensch sich da in einem lebensnahen Bereich, dem Studienalltag. Erstaunlich trotzdem, was mensch dann doch noch alles Neues
hört bei einem Blick hinter die Kulissen und auf die konkreten gesetzlichen Grundlagen, die ja eigentlich alle Studierenden kennen müssten. Wie wichtig ein kritisch überprüfender Blick auf die von jeder Studentenin und jedem Studenten jahrelang inhalierten wohlklingenden Rechtsstaatsgrundsätze in der Praxis ist, ergibt sich zwingend, wenn plötzlich von kodierten ZeugInnen, Terrorismusbekämpfung im AusländerInnenrecht und Auslieferung an Folterstaaten die Rede ist. Derlei spannende Themen und dazu der lehrreiche Einblick in das Dasein von linken RechtsanwältInnen, in meist kollegialer Atmosphäre, sind ohne Zweifel die Gründe für ein gelungenes Praktikum. Kein Grund also zu jammern für die »Generation Praktikum«, wenn sie sich denn ausnahmsweise mal für ein Gruppenpraktikum beim akj entscheidet. "
Quelle: Marie Melior in: das freischüßler #15|2007, S.57f.

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