Freitag, Januar 18, 2013

Die Heimsuchung des Strafrichters Hlavka

In Dresden wird ein Antifaschist aus Berlin wegen Megaphonbenutzung zu 22 Monaten Haft ohne Bewährung verurteilt, weil ein Amtsrichter mal was gegen Demotourismus tun wollte, während das Landgericht fünf Rädelsführer der verbotenen Neonazi-Gruppierung Sturm 34 wegen schwerer Körperverletzung, Sachbeschädigung und Bildung einer kriminellen Vereinigung mit Bewährungs- und Geldstrafen abspeist.


Zum Hintergrund (Zeit.Blog)

Wir dokumentieren die Presseerklärung der „Untersuchungskommission 19. Februar vom 17.01.2013:

Unverhältnismäßig und abschreckend
Dresdner Urteil gegen Demonstrierenden
Das Schöffengericht des Amtsgerichtes Dresden hat am Mittwoch, 16. Januar 2013, einen 36-jährigen Berliner wegen Körperverletzung, besonders schwerem Landfriedensbruch und Beleidigung zu einer Haftstrafe von einem Jahr und zehn Monaten ohne Bewährung verurteilt. Er soll bei den Demonstrationen gegen den Aufmarsch von NPD und Kameradschaften am 19. Februar 2011 in Dresden mit einem Megafon zum Durchbrechen einer Polizeikette aufgerufen haben. Richter Hans-Joachim Hlavka verurteilte zu einer solch hohen Strafe ohne Bewährung, obwohl unklar blieb, ob der Angeklagte tatsächlich derjenige war, von dem eine verschwommene Filmaufnahme existiert, und obwohl der Gefilmte nur dazu aufrief, nach vorne zu kommen. Ihm selbst wurde die Begehung von Gewalttätigkeiten nicht vorgeworfen.

Nur weil der nicht vorbestrafte Angeklagte von seinem grundlegenden Recht, vor Gericht zu schweigen, Gebrauch machte, kam der Richter zu „keiner günstigen Sozialprognose“ und setzte die Strafe daher nicht zur Bewährung aus. Nach der Logik des Schöffengerichts begründet allein die Wahrnehmung prozessualer Rechte die Erwartung zukünftiger Straftaten.

Die „Untersuchungskommission 19. Februar“, die am 2. Februar 2012 ihre Aufarbeitung der Ereignisse im Februar 2011 der Öffentlichkeit vorgestellt hat, ist entsetzt über dieses unverhältnismäßige Urteil. Die bisherigen Strafverfahren gegen TeilnehmerInnen von Sitzblockaden verliefen im Sande. Verfahren wegen angeblicher „Rädelsführerschaft“ aus den Jahren 2011 wurden eingestellt. Die polizeilichen Durchsuchungen von mehreren Räumen am Abend des 19. Februar wurden gerichtlich für rechtswidrig erklärt. Die Datensammlungen mittels Funkzellenabfrage werden vom Datenschutzbeauftragten als rechtwidrig eingestuft, der Rechtsstreit dauert noch an.

Jetzt sollen wohl wenige Angeklagte exemplarisch für die vielen Verfahren, die im Sande verlaufen sind, übermäßig verurteilt werden. Der Richter selbst begründet sein Urteil damit, dass die Bevölkerung in Dresden es satt habe, von Demonstrierenden besucht zu werden. Das Urteil hat damit auch das Ziel, andere von der Teilnahme an Demonstrationen abzuschrecken Wer kann sich noch trauen, während einer Demonstration ein Megafon in die Hand zu nehmen, wenn dieses so einfach zu einer Tatwaffe umgedeutet werden kann. Auch das Verfahren gegen den Pfarrer Lothar König, der ebenfalls „zu Gewalt angestachelt“ haben soll, steht im März 2013 an.

gez. Elke Steven
(Komitee für Grundrechte und Demokratie) 

Die „Untersuchungskommission 19. Februar“ hatte sich am 9. Oktober 2011 in Dresden konstituiert.
Bürgerrechtler und Bürgerrechtlerinnen, Rechtsanwälte und Rechtsanwältinnen, Vertreter und Vertreterinnen aus diversen Aktionszusammenhängen und aus Landesparlamenten haben damals die Vorgänge rund um den 19. Februar 2011 aufgearbeitet, Fakten zusammengestellt und diese bezüglich ihrer grundrechtlichen Dimension bewerte. Am 2. Februar 2012 wurde der Untersuchungsbericht der Öffentlichkeit vorgestellt. Das Komitee für Grundrechte und Demokratie hat die Arbeit der Kommission koordiniert.

Der „Untersuchungskommission 19. Februar“ gehörten an:
Friedemann Bringt (Koordinator BAG Kirche & Rechtsextremismus), Sabine Friedel (SPD, MdL Sachsen), Corinna Genschel (Komitee für Grundrechte und Demokratie), Kerstin Harzendorf (Beraterin für Rechtspolitik der grünen Landtagsfraktion), Kampagne Sachsens Demokratie, Kerstin Köditz (Die Linke, MdL Sachsen), Katharina König (JG-Soligruppe, Die Linke, MdL Thüringen), Stefan Lange (Büroleiter Bundesvorstand Bündnis 90/DIE Grünen bei Astrid Rothe-Beinlich), Johannes Lichdi (Bündnis 90/Die Grünen, MdL Sachsen), Albrecht Maurer (BT Linke), Wolf-Dieter Narr (Komitee für Grundrechte und Demokratie), Thomas Ott (Aktionsnetz Jena, Legalteam, Rechtsanwalt), Kristin Pietrzyk (Rechtsanwältin, Jena, Republikanischer Anwältinnen- und Anwälteverein), Michael Plöse (akj-berlin), Wolfhard Pröhl (Bündnis Dresden-Nazifrei), Martina Renner (Die Linke, MdL Thüringen), Astrid Rothe-Beinlich (Bündnis 90/Die Grünen, Bundesvorstand, MdL Thüringen und Vize-Präsidentin des Thüringer Landtags), Christine Schickert (Bündnis 90/Die Grünen, Dresden), Elke Steven (Komitee für Grundrechte und Demokratie), Danilo Starosta (Kulturbüro Sachsen e.V.), Peer Stolle (Rechtsanwalt,  Republikanischer Anwältinnen- und Anwälteverein)

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