Mittwoch, August 28, 2013

Remember Cemal Kemal Altun

Gedenken an einen politischen Flüchtling, der Zuflucht suchte und den Tod fand


Am 30.08.1983 stürzte sich der politische Flüchtling Kemal Cemal Altun aus dem Fenster des Berliner Verwaltungsgerichts aus Angst vor der Auslieferung an die türkische Militärdiktatur in den Tod. Er war der erste politische Flüchtling in Deutschland, der sich selbst tötete, weil er die Auslieferung an seinen Verfolgerstaat befürchten musste. Dieser Tod hat sich in das kollektive Gedächtnis der kritischen Öffentlichkeit eingebrannt.

Gedenken wir Cemal K. Altun – und führen wir uns zugleich die andauernde Unmenschlichkeit und ungebrochene Brutalität des Staates gegen Schutzsuchende vor Augen.

Nach dem Militärputsch in der Türkei floh Cemal K. Altun wie viele weitere linke Aktivist_innen ins Ausland. Als ihm der Mord an einem Anführer der faschistischen „Graue Wölfe“  angehängt wurde, beantragte er Asyl in der BRD. Doch der Berliner Staatsschutz verriet seinen Aufenthaltsort an die türkische Diktatur. 

Cemal K. Altun war unbestreitbar ein politischer Flüchtling.  Doch über das deutsch-türkische Auslieferungsabkommen für Straftäter bestand die konkrete Gefahr, dass der deutsche Staat die Auslieferung politischer Dissident_innen an die Militärdiktatur durchführte. Der erste Auslieferungsversuch konnte durch massive Proteste verhindert werden. Doch der deutsche Staat  klagte nicht nur gegen Cemal K. Altuns Flüchtlingsstatus, sondern ließ sich von der türkischen Militärdiktatur „zusichern“, dass er nach Verbüßung einer Strafe nach Deutschland zurückkehren könne. Noch vor dem Beginn seiner Verhandlung vor dem Berliner Verwaltungsgericht wurden die ersten Aktivist_innen an ihre Verfolger_innen ausgeliefert. Der deutsche Innenminister versprach persönlich seine Auslieferung. Der deutsche Staat nahm offenbar Cemal K. Altuns Folterung und Tod sehenden Auges in Kauf. Ohne Vertrauen auf den Erfolg seines Asylverfahrens, sprang er vor Beginn der Verhandlung aus dem Fenster des Gerichtsgebäudes.

Nach seinem Tod erkannte das Gericht posthum seinen Status als politisch Verfolgter an, doch das Recht auf Asyl nutzte Cemal nichts. Es wurde außer Kraft gesetzt, um Realpolitik zu vollziehen. Sein Fall steht exemplarisch für die unmenschliche deutsche Abschiebepolitik. Während sein Schicksal im öffentlichen Fokus stand, wurden hunderte weitere Menschen abgeschoben. 
Sein Tod brachte kein Umdenken in der Politik, im Gegenteil, seitdem wurde das Grundrecht auf Asyl immer weiter eingeschränkt, bis es 1993 faktisch abgeschafft wurde. Im Rahmen der seit den späten 70ern laufenden Kampagne gegen das Asylrecht wurden die Methoden der Abschiebung weiter verschärft. Der dadurch beförderte Rassismus in Teilen der Bevölkerung führte zu einer Welle von Pogromen, zu den brennenden Häusern in Mölln und Solingen bis hin zu den Morden des NSU und deren staatlicher Unterstützung.

Seit 1983 ist eine Vielzahl weiterer Flüchtlinge durch Abschiebemaßnahmen zu Tode gekommen oder seelisch und körperlich verletzt worden. Tausende Menschen sind beim Versuch, Schutz in Europa zu finden, ums Leben gekommen oder haben sich in den europäischen Abschiebehaftzentren selbst getötet.  

Wir möchten am 30. August, dem bundesweiten Aktionstag gegen Abschiebungen,  an ihn und an all diejenigen erinnern, die durch die unmenschliche Asylpolitik Deutschlands zu Tode und zu Schaden gekommen sind. 

Nach dem Tod von Cemal K. Altun  benannten Menschen an vielen Orten selbstorganisiert öffentliche Plätze um. Wir rufen auf, sich an diesen Plätzen zu versammeln. In Berlin treffen wir uns an der Todesstelle Cemal K. Altuns vor dem  ehemaligen Gerichtsgebäude.

In Erinnerung an den Tod von Cemal K. Altun vor 30. Jahren wollen wir auf die tödlichen Folgen der BRD Abschiebepolitik Aufmerksam machen.



Freitag, 30.08.2013, 
um 16.00 Uhr
Gedenkkundgebung 
Hardenbergstraße 21, 
(Bahnhof  Zoo, Berlin-Charlottenburg)

Ein Aufruf von 
Rassismus tötet, Initiative gegen Abschiebehaft, Flüchtlingsrat Berlin, Internationale Liga für Menschenrechte, ProAsyl

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Einwortpolitik im Wahlplakatesalat

Oder: Das »WIR« entscheidet

 
Aufblende: Bundestagsplenum, Draufsicht Präsidium unter der fetten Henne, Zoom zu Bundestagspräsident (Dr.*, in Überprüfung) Lammert

Dieser mit leicht ulkiger Stimme:
»Ah ja, ich rufe auf den Tagesordnungspunkt 'Verschiedenes'. Heute hat sich der Ältestenrat etwas ganz besonders Feines ausgedacht. In Anbetracht der bevorstehenden Wahlen und weil hier sowieso niemand mehr etwas zu verlieren hat, spielen wir heute ein kleines Spielchen. Es heißt Einwortpolitik oder auch Memory. Meine Damen und Herren, das sind die Regeln: Ich rufe nun die hier im hohen Haus vertretenen Fraktionen der Reihe nach auf und Sie antworten mir innerhalb von vier Sekunden mit einem Wort, dass Sie und das Wahlprogramm Ihrer Partei Ihrer Meinung nach am besten beschreibt. Wer innerhalb der von Kollegin Pau gestoppten Zeit nicht antworten kann oder nicht einheitlich hat verloren und muss die Protokolle abtippen. Hihi, nur ein Spaß. Nundenn. Ich rufe auf: die Fraktion der FDP.«
Aus den Reihen der FDP ohne Zögern und mit lauter Begeisterung:
 »Markt.«
Lammert:
»Sehr schön und nicht mal 1 Sekunde. Ich rufe auf die Fraktion Die Linke.«
Kurzes Zögern, dann ein kleinärmliges Winken von vorne links und es bellt wie ein Jawoll aus den Reihen der Linkspartei:
»Staat«
Lammert:
»Na da haben Sie ja noch mal die Kurve bekommen, Frau Pau was sagt die Zeit? Ach was frag ich eigentlich... Na schön, ich rufe auf: die Fraktion Bündnis 90/ Grüne.«
Vorne beginnt Trittin seinen Namen zu tanzen, Künast schüttelt heftig den Kopf, vereinzelt hört mensch ein unterdrücktes »Vegimensa«, doch als Pau schon den Arm heben will, beginnt von hinten ein Raunen, das wie eine Welle nach vorne trägt und aus allen Stimmen wie ein Befreiungslaut aus dem kindlichen »Eeeeuuuuuuuu« ein »ropa« formt.

Lammert:
»Na, ob wir das noch gelten lassen können?«
Schaut zur Pau. Von unten »Zu spät ist zu spät.«, aber auch: »Oooooch büüüte.« Pau wiegt den Kopf:
»Gerade noch so, Kollege Lammert - zumindest was die Zeit angeht.«
Lammert:
»Na dann wollen wir mal hören, was die größte Fraktion zu bieten hat, meine Damen und Herren, ich rufe auf: die CDU/CSU-Fraktion.«
Es folgt ein volltönendes, stakatoartiges:
»Merkel«, 
das weil es so kurz war von den jungen Wilden alsbald zu den Klängen von Oléolé unter rhythmischem Klatschen wieder und wieder wiederholt wird, worin bald auch die restliche Fraktion einstimmt.

Lammert:
»Nana, liebe Freundinnen und Freunde, ich denke der Standpunkt ist klar geworden. Nundenn freuen wir uns auf die letzte Performance. Ich rufe auf die Fraktion der SPD.«
1. Sekunde: Grillenzirpen
2. Sekunde: leises Husten
3. Sekunde: Blätterrascheln, dann hektische Betriebsmakeit, die Abgeordneten der SPD scheinen irgendwas zu suchen, blättern in ihren Unterlagen, suchen in Aktenmappen und Taschen.

Pau:
»Aus. Sie sind raus. Die Zeit ist um. Nänanenana.«
Gelächter im Haus, beschwerendes Getue bei der SPD.

Lammert:
»Na dann guten Wahlkampf noch. Die Sitzung ist beendet.«
Abblende: Hammer wird auf den Tisch geschlagen...

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Stimmt vielleicht mit Ihrem Rechtsgefühl was nicht?

Wer kennt nicht das Gefühl: Trotz mehrmaligen Lesens und Durchdenkens hat meine eine bestimmte Rechtsansicht -- meist h.M. -- nicht verstanden und sich im Hinblick auf den Klausur- oder Examenserfolg nolens volens für Auswendiglernen entschieden. Dabei blieb immer der Zweifel, ob mensch das jetzt einfach zu doof ist oder die Rechtsansicht nicht doch falsch ist. Frei nach Loriot: »Vielleicht stimmt ja was mit meinem (Rechts-)Gefühl nicht.«

Das ging mir z.B. beim § 113 StGB (a.F.) so mit dem »Pkw als Waffe im untechnischen Sinne« -- bis das BVerfG irgendwann entschied, dass diese Auslegung den Wortsinn iSd Art. 103 II GG überschreitet. Vorher hat das nur Paeffgen im NK-StGB genauso gesehen. Aber der war/ist ja sowieso einer von den "lebenden Mindermeinungen".

Das war dann eine gewisse Genugtuung...

Dieselbe Gefühlsgemengelage stellte sich bei den unvermeidlichen Abschleppfällen ein: Die dafür vorgesehene Gebühr nach PlBenGebO ist als Benutzungsgebühr ausgestaltet, obwohl überall anders das als Verwaltungsgebühr ( = Gegenleistung für Amtshandlung) vorgesehen ist.

Jetzt hat nach /Jahrzehnten/ das VG Berlin entschieden, dass das rechtswidrig ist.
»Grundlage für die PolBenGebO ist § 6 Abs. 1 des Gesetzes über Gebühren und Beiträge (GebBeitrG) vom 22. Mai 1957 (GVBl. S. 516), seinerzeit zuletzt geändert durch Art. I des Gesetzes vom 6. Juli 2006 (GVBl. S. 516). Danach erlässt der Senat durch Rechtsverordnung nach Maßgabe der Vorschriften dieses Gesetzes Gebühren- und Beitragsordnungen. Gem. § 3 Abs. 1 GebBeitrG sind Benutzungsgebühren, wie sie hier explizit erhoben werden sollen, als Gegenleistung für die Benutzung öffentlicher Einrichtungen und die damit im Zusammenhang stehenden Leistungen vorgesehen. Mit dem die Gebührenforderung auslösenden Umsetzen eines verkehrswidrig geparkten Pkw wird hingegen weder eine öffentliche Einrichtung tätig (1.), noch handelt es sich um einen Benutzungsvorgang (2.). Auch heilt eine stillschweigende Billigung des Gesetzgebers keine Überschreitung des der Exekutive mit der Verordnungsermächtigung gesetzten Rechtssetzungsrahmens (3.). Schließlich haben die Begriffe „öffentliche Einrichtung" und „Benutzung" gem. § 3 GebBeitrG keine Bedeutungserweiterung durch § 15 Abs. 2 Satz 4 ASOG erfahren.«
Die Entscheidungsgründe riechen danach, dass ein/e Referendar_in die Akte aufs Auge gedrückt bekam ("übersichtlicher Fall") -- und sich da mal in bißchen mehr reingekniet hat.

Nachtrag:
Beim Überfliegen drüber gestolpert:
Die nächste Überarbeitung ist im Rahmen der beabsichtigten Reform des Gebührenrechts, d.h. nach Verabschiedung eines neuen Gebührengesetzes vorgesehen.
Quelle: http://pardok.parlament-berlin.de/starweb/adis/citat/VT/17/vo/vo17-099.pdf#page=4

Das heißt, dass im GebBeitrG "demnächst" die Verweisungen auf seit drei Novellen nicht mehr vorhandene GKG-Wertgebührentabellen, die Reichsabgabenordnung idF von 1931, schon 1958 überholte VwVG/VwZG-Fassungen usw usf. beseitigt werden könnten.

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