Freitag, Februar 25, 2011

„Zensur, Zensur, Zensur“

Prozessbericht vom ersten Verhandlungstag gegen linke Buchläden

Vor dem Amtsgericht Tiergarten skandierten am Freitag den 18. Februar 2011 all diejenigen lautstark, denen der Zugang zu der Gerichtsverhandlung gegen linke Buchläden in Berlin verwehrt wurde. „Wir wollen rein!“, rufen sie immer wieder und sind verständlicher Weise verärgert darüber, dass gerade einmal 24 Personen die Plätze der Öffentlichkeit im eilig verlegten Gerichtssaal 101 für "besonders gefährliche Prozesse" einnehmen dürfen.

Die Verteidigung des angeklagten Geschäftsführers des Buchladen oh21 rügt auch sogleich diese Begrenzung der Öffentlichkeit und fordert die Verlegung in einen größeren Sitzungssaal, was jedoch abgelehnt wird. Saal 101 liegt in dem Teil des Gerichts, der nur nach Passieren erhöhter Sicherheitskontrollen zu erreichen ist. Für die Prozesszuschauer_innen bedeutete das zusätzlich zur Ausweiskontrolle, sämtliche Taschen und Gegenstände abgeben zu müssen, Durchsuchungen mit Schuhe ausziehen und peniblem Abtasten. Pure Schikane, so die allgemeine Empfindung. Auch die Plätze auf der Pressebank sind erst nach wiederholten Beschwerden wirklich voll besetzt.

Dann verliest die Staatsanwaltschaft die Anklage. Sie stützt sich auf § 130a StGB, der die Anleitung zu Straftaten unter Strafe stellt, und § 40 WaffG, der das Anleiten und Auffordern zur Herstellung verbotener Waffen verbietet. Der angeklagte Buchhändler soll die Zeitschriften „Prisma“ (vgl. die Kleine Anfrage im LT Niedersachsen) und „Interim“, die der allgemeinen Beschlagnahme unterliegen, „einem nicht eingegrenzten Kundenkreis griffbereit zur Verfügung gestellt und zumindest billigend in Kauf genommen haben, daß der Inhalt bestimmter Ausgaben an die Öffentlichkeit gelangt“. In diesen Publikationen sollen Anleitungen zum Bau von Molotow-Cocktails, zum Blockieren von Fahrscheinautomaten und zu anderen Aktionen enthalten sein. Fleißig führt die Staatsanwaltschaft Fundstellen an, gibt aber deren genauen Inhalt jeweils nur in ihren eigenen Worten wieder. Der gespannten Öffentlichkeit bleiben so genauere Informationen zu den kriminalisierten Bauanleitungen zum allgemeinen Bedauern vorenthalten. Die Anklageschrift geht ganz selbstverständlich davon aus, dass der Angeklagte den Inhalt der Zeitschriften kannte: „Es ist in der linken Szene allgemein bekannt, dass in der Interim strafrechtlich relevante Inhalte veröffentlicht werden.“

Der Angeklagte lässt sich an diesem ersten Prozesstag nicht zu den Vorwürfen ein, bedankt sich jedoch in einer politischen Erklärung für die Solidarität und betont als Buchhändler ganz sicher nicht dazu bereit zu sein, als „ verlängerter Arm der Zensurbehörde“ zu dienen. Sein Verteidiger betonte zuvor in einer Erklärung, dass die Strafverfolgung seines Mandanten als rein politisch motiviert zu betrachten sei: „Die Kommunikation einer außerparlamentarischen Opposition soll hier erschwert werden“. Die Vorwürfe seien allein auf irgendwelche Bezüge zur linken Szene gestützt. Die Anklage werde nicht hinreichend konkretisiert, insbesondere sei es eine pure Unterstellung, dass wer für radikale Veränderungen eintrete, auch die „Interim“ lese. Mit diesem Prozess werde schlicht versucht, die Betroffenen zu kriminalisieren und die bisherige Rechtsprechung des Kammergerichts Berlin in Frage zu stellen, die Buchhändler_innen gerade keine Pflicht auferlegt, sämtliche Inhalte ihre Produkte zu kontrollieren.

Die darauf folgende Vernehmung zweier Zeugen, einer Polizeibeamtin und eines Kriminalbeamten, dreht sich zum einen um die Durchsuchung des Buchgeschäfts oh21 in der Oranienstraße in Berlin-Kreuzberg, zum anderen um die bisherigen Erkenntnisse des Staatsschutzes hinsichtlich der Zeitschrift „Interim“. Der Ablauf der Durchsuchung kann durch die Aussage der Polizeizeugin jedoch nicht geklärt werden, weil diese sich nicht erinnern kann, wo genau und welche Zeitschriften gefunden wurden. Der Buchladen sei nach ihrer Aussage „ein normaler Buchladen wie jeder andere" gewesen. Der Versuch durch die Aussage des ermittelnden Kriminalbeamten zu klären, was genau denn unter dem durch die Staatsanwaltschaft viel gebrauchten Begriff "linke" oder "linksradikale Szene" zu verstehen sei, scheitert kläglich. Die Antwort des Zeugen:

„Linke Themen sind vielfältig.“
und

„Die linke Szene ist ein vielschichtiges Phänomen, so unglaublich vielseitig.“
Auch auf die Frage des Gerichts, wo die untersuchten Zeitschriften denn nach Erkenntnis der Kriminalpolizei vertrieben werden, gibt es lediglich den Hinweis, dass sie in mehreren Buchläden beschlagnahmt wurden.

Draußen wird derweil hartnäckig weiter skandiert: „Zensur, Zensur, Zensur“. Drinnen setzt das Gericht den Ausschluss der Öffentlichkeit fort: Die Inhalte der „Interim“ sollen durch die Prozessbeteiligten im Selbstleseverfahren in den Prozess eingeführt werden. Die Verteidigung wehrt sich vehement gegen dieses Vorgehen, jedoch erfolglos. Sollte sie wiederum mit dem Antrag, die gesamten bisherigen und nicht strafrechtlich verfolgten Ausgaben der „Interim“, also ca. 720 Zeitschriften, in die Beweisaufnahme einzuführen, Ernst machen und damit Erfolg haben, dann dürfte der nächste Verhandlungstermin, 8. März 2011, nicht der letzte Prozesstermin sein.

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Dienstag, Februar 15, 2011

Verlesen oder was?














Am Freitag beginnt der erste Prozesstermin gegen linke Buchläden

Mensch freut sich ja wirklich über jede_n Leser_in. Gerade bei kleinen, schlecht finanzierten Heftchen, die eh nur in der Szene herumgehen, sollte mensch das annehmen. Doch vorsicht! Wer nicht gerade ein Satiremagazin verkauft, auf dem auch "Vorsicht Satire!" draufsteht, sondern so tut, als würde mensch es bitter ernst meinen, bekommt besonders begehrliche Leser_innen, z.B. bei der Staatsanwaltschaft. Die wollen dann gleich die ganze Auflage einstreichen - besonders dann, wenn sie selbst häufiger Gegenstand der Berichterstattung wird - mensch kennt das ja... Ob nun Anachist Cookbook oder die Storry von "Susi und Strolchi büxen aus" - so genau weiß mensch ja nie, was drin steckt im neuesten Cover der Berliner Neuen Literaturdepesche. Blöd nur, dass dabei schnell auch die Verkaufsgelegenheiten zur Zielscheibe der Fahnder_innen werden. Aber auch das kennen wir ja schon. Ist eben wie in der Hasenheide; nur dass es nicht um Betäubungsmittel geht...oder vielleicht doch, naja.

Keine Ahnung, worum es geht?
2010 haben die Berliner Staatschutzbehörden wiederholt die Buchläden M99, oh21 und Schwarze Risse (Kastanie + Mehringhof) durchsucht, Zeitschriften und Flugblätter beschlagnahmt, Computer entwendet und Strafverfahren eingeleitet. Im Falle der Oh 21 lautet die Anklage gegen den Geschäftsführer: "Anleitung zu Straftaten" (§130a StGB) und "Verstoß gegen das Waffengesetz". Das ist neu, denn in früheren Verfahren wegen linker Publikationen wurde jeweils gegen "unbekannt" ermittelt, die "unbekannten Autoren". Wie der §129a StGB ("Bildung einer terroristischen Vereinigung") ist auch der §130a ein sogenannter Ermittlungsparagraph, dessen Zweck vor allem genau darin besteht, die Staatsanwaltschaft zu ermächtigen, Läden, Computer und Wohnungen zu durchsuchen.

Linke Buchläden sind zentraler Teil linker Infrastruktur. Sie sind Schnittstellen zwischen breiter Öffentlichkeit, linken Strömungen und Subkulturen. Sie sollen mit solchen Verfahren unter Druck gesetzt werden, als vorgelagerte Zensurbehörde des Staates zu fungieren. Ein gewünschter Nebeneffekt ist sicher, dass so Berührungsängste geschürt werden.

Von diesem Kriminalisierungsversuch sollten sich daher ALLE betroffen fühlen, die Flugblätter, Plakate und Broschüren auch in Zukunft in Buchläden auslegen oder vorfinden möchten, alle, die die Läden als Kontaktadresse nutzen, die Bustickets nach Dresden oder ins Wendland kaufen möchten und all diejenigen, die linke Buchläden schätzen, weil sie dort in einem Bücherbestand stöbern können, der weitestgehend unabhängig von ökonomischen Kriterien zusammengestellt wird - und frei von staatlicher Zensurvorgabe.

Am 18. Februar 2011 um 9.00 im Amtsgericht Tiergarten, Turmstr. 91, Raum 455. Kommt zahlreich und zeigt eure Solidarität mit den Buchläden!

Freitag, Februar 04, 2011

Bericht über die Einsatzbeobachtung am 2. Februar 2011


Aus Anlass der Räumung des Mietshauses in der Liebigstr. 14 führten der arbeitskreis kritischer juristinnen und juristen an der Humboldt-Universität zu Berlin (akj-berlin) und die kritischen jurist_innen der Freien Universität (kj) eine Einsatzbeobachtung in Friedrichshain durch.

Mit bis zu 25 Beobachter_innen haben wir die polizeiliche Räumung im Bereich der Rigaer Straße sowie die damit in Zusammenhang stehenden Protestaktionen und Versammlungen begleitet. Der Anlass dieses Polizeieinsatzes lässt die Frage aufkommen, ob zur Durchsetzung privatrechtlicher Interessen ein so massives Polizeiaufgebot gerechtfertigt sein kann. Insbesondere deswegen, weil es nach dem Beschluss des Landgerichts zunächst darum hätte gehen müssen, die tatsächlichen Besitzverhältnisse in der Liebigstr. 14 festzustellen. Eine solche Feststellung fand jedoch gar nicht erst statt, stattdessen kam es am Ende doch zu einer Räumung und mehreren Festnahmen. Diese wurde unter Einsatz enormer personeller und technischer Mittel, insbesondere Werk- und Fahrzeugen durchgesetzt. Dabei wurde sogar dem Anwalt der Bewohner_innen, der Zugang zu seinen Mandant_innen und dem Gelände verwehrt. Stattdessen wurde er auf den weiter entfernten Pressebereich verwiesen. Pressevertreter_innen wurden dort ebenso am Zugang zum Haus gehindert wie ihnen eine direkte Einsicht in die polizeilichen Maßnahmen verwehrt war. Erst nach Abschluss der Räumung wurde ausgewählten Presseteams der Zutritt ermöglicht. Bis in die Abendstunden und Nacht glich der Bereich um die Liebigstraße einem polizeilichen Belagerungszustand mit schwerem Gerät in greller Scheinwerferbeleuchtung. Nur Anwohner_innen wurde unter Vorlage ihres Personalausweises der Zugang gestattet.

Bereits am Vorabend und in der Nacht hatten einzelne Polizeigruppen durch Hin- und Herfahren auf der Rigaer Str. die vor dem Haus solidarisch Versammelten provoziert. Am frühen Morgen installierte die Polizei auf den umliegenden Dächern grelle Scheinwerfer und leuchtete die Balkone und Fenster der Anwohner_innen mit Suchscheinwerfern ab. Von den Dächern aus wurden durchgehend Videoaufnahmen angefertigt.

Zahlreiche Protestaktionen begleiteten die Räumungsmaßnahmen im Friedrichshainer Kiez. Bei unseren Beobachtungen ließen uns die Einsatzkräfte nach anfänglichen Schwierigkeiten weitgehend ungehindert gewähren.

Die Polizeieinheiten aus anderen Bundesländern sowie die Bundespolizei waren nicht oder nur unzureichend gekennzeichnet. Teilweise waren nicht einmal die Landeswappen erkennbar. Auch die Berliner Polizei ließ eine über gruppenspezifische Zuordnungen hinausgehende individuelle Kennzeichnung vermissen. Das Auftreten der eingesetzten Beamt_innen wirkte infolge ihrer permanenten Behelmung, Polsterung und Bewaffnung einschüchternd und bedrohlich. Vielfach waren die Gesichter unter den ohnehin mit Tarnhauben überzogenen Helmen durch Sturmmasken verdeckt. Auch Hunde wurden wieder einmal eingesetzt.

Im Lauf des Tages dokumentierten wir über fünfzehn Festnahmen. Insbesondere bei den Protestaktionen und Versammlungen im Bereich der Proskauer Straße und der Frankfurter Allee war das Vorgehen der Beweissicherungs- und Festnahmeeinheiten von unangemessener Gewalttätigkeit geprägt: Regelmäßig wurde den Festgenommenen der Mund und die Gesichtspartie so zugehalten, dass sie außerstande waren, den Umstehenden ihren Namen zur Vermittlung anwaltlicher Hilfe zuzurufen. Tritte und Schläge u.a. in die Nieren- und Magengegend wurden ebenso regelmäßig beobachtet wie das Hetzen und Wegtreiben von Demonstrant_innen ohne vorherige Ansprache oder Warnung. Vereinzelt kam es dabei auch zu sexistischen und anderen Beleidigungen.

Gegen 11:15 Uhr kam es an der Bänschstr./Proskauer Str. zu einer höchstwahrscheinlich rechtswidrigen Einkesselung von ca. 50 bis 60 Personen, die bis ca. 13 Uhr andauerte. Erst nach Feststellung ihrer Personalien und der Aussprache eines umfassenden, wohl unverhältnismäßigen Platzverweises, konnten die festgehaltenen Personen den Bereich verlassen. Eine tragfähige Begründung für die Kesselung wurde ihnen bis zum Schluss nicht gegeben. Gewalttätige Konfrontationen und Ausschreitungen waren ausgeblieben.

Das Vorgehen der Polizei am Abend des 2. Februar unterschied sich deutlich zu dem am Morgen bzw. Vormittag. Am Abend beobachteten wir die für 19 Uhr am Boxhagener Platz angemeldete Demonstration. Der Platz war von Scheinwerfern hell ausgeleuchtet. Die hohe Präsenz von formierten Polizeikräften in voller Montur (Polsterung, Fußschutz, Helm, Mundschutz, nicht selten auch Sturmhaube) wirkte sehr bedrohlich. Zudem standen diese, infolge des hohen Teilnehmer_innenzustroms von allen Seiten des Platzes, selbst am Rand schon mitten in der Versammlung. Extrem störend waren auch die unmittelbar am Platz aufgestellten Einsatzfahrzeuge.

Die Verlesung der Auflagen durch die Polizei bevor sich der Demonstrationszug in Bewegung setzte, war weitestgehend verständlich. Problematisch war, dass der vordere Teil des Demonstrationszuges, inklusive dem Schwarzen Block, von vielen Polizeikräften derart umklammert wurde, dass weder von vorn noch von der Seite das auf den Transparenten dargestellte Anliegen der Demonstration zur Kenntnis genommen werden konnte. Damit wurde in das Recht, über Inhalt und Darstellung der Versammlung selbst zu entscheiden, eingegriffen. Aufgrund der engen Straßenverhältnisse und der hohen Teilnehmer_innenzahl zog sich der Demonstrationszug über mehrere hundert Meter und man lief gedrängt. Deswegen wirkte die Präsenz der Polizei in Gruppen bzw. Zügen unmittelbar seitlich der Demo provozierend und bedrohlich. Insbesondere auch deswegen, weil es sich bei den begleitenden Polizeikräften um Beweissicherungs- und Festnahmeeinheiten mit entsprechender Ausrüstung handelte. Nicht uniformierte Polizei befand sich auch mitten in dem Demonstrationszug.

Im Bereich der Warschauer Str. Ecke Revaler Str. kam es dann zu einer Maßnahme, die auf den weiteren Verlauf der Geschehnisse maßgeblichen Einfluss hatte, als die den Demonstrationszug begleitenden Beamt_innen ohne Vorwarnung in den Zug hinein prügelten und Festnahmen durchführten. Dabei kam es auch zum Einsatz von Pfefferspray und Transparente wurden entrissen. Allein das Zünden eines Leuchtfeuers kann dafür nicht als Anlass genügen.

Die Demonstration konnte noch bis zur Kopernikusstraße fortgesetzt werden. Dort sperrte die Polizei den gesamten Kreuzungsbereich ab, nachdem Feuerwerkskörper in Richtung der Polizeikräfte geworfen wurden. In dem entstandenen Gedränge kam es zu Übergriffen durch die Polizei. Die Polizeikräfte liefen mehrfach von der Seite in die versammelte Menge hinein und führten Festnahmen durch. Dabei wurde beobachtet wie Polizist_innen mit gestrecktem Bein auf Menschen sprangen und gezielt Faustschläge gegen den Kopf eingesetzt wurden. Eine Auswahl der Festzunehmenden erfolgte nicht oder nicht nachvollziehbar. Erneut kam es zum Einsatz von Pfefferspray. Pressefotografen äußerten den Eindruck, dass dieses gegen sie und ihre Ausrüstung gezielt eingesetzt wurde. Wie schon am Vormittag erschien die Festnahmepraxis gewalttätig. Wieder wurde verhindert, dass die Festgenommenen den Umstehenden ihren Namen mitteilen. Teilweise wurde Nachfragenden durch die Polizei der Einsatz von Pfefferspray aus unmittelbarer Distanz angedroht und behauptet, das bloße Nachfragen stelle bereits eine Ordnungswidrigkeit dar.

Um 20:39 wurde von Seiten der Polizei mitgeteilt, dass der Veranstalter die Versammlung für beendet erklärt habe. Diese wie die weiteren Ansagen der Polizei waren jedoch kaum verständlich bzw. im hinteren Teil des Zuges gar nicht wahrnehmbar. Für die Teilnehmer_innen blieb daher unklar, in welche Richtung die Versammlung verlassen werden konnte. Es entstand eine extrem unübersichtliche unruhige Situation. Ab 20:45 wurde dauerhaft ein Helikopter eingesetzt.

Auf der Abstromroute in Höhe der versperrten Oberbaumbrücke verzichtete die Polizei auf die Regelung des Verkehrs, wodurch sowohl die ehemaligen Versammlungsteilnehmer als auch die Autofahrer gefährdet wurden.

Im weiteren Verlauf des Abends wurde im Friedrichshainer Kiez beobachtet, dass durch die Polizei Taschenkontrollen durchgeführt wurden. Diese mussten den Betroffenen als willkürlich erscheinen, weil völlig unklar blieb, wonach die Polizei auswählte, wen sie durchsuchte.

Im gesamten Verlauf des Abends wurden Handlungen, die nach dem Versammlungsgesetz nur im Zusammenhang mit Demonstrationen strafbar sind, beispielsweise Vermummung und das Mitführen von auf der Versammlung verbotenen Gegenständen, auch dann noch als Anlass für Festnahmen und Durchsuchungen herangezogen, nachdem die Versammlung für beendet
erklärt worden war.


[Überarbeitere Version (aus Anlass von Kommentar 2)]
Im gesamten Verlauf des Abends wurden Handlungen wie Vermummung und das Mitführen von nach dem Versammlungsgesetz verbotenen Gegenständen als Begründung für Festnahmen und Durchsuchungen herangezogen, auch wenn Demonstrationen bereits beendet oder aufgelöst waren und der nach § 27 Abs. 2 Nr. 3 lit. c VersG eigentlich erforderliche Zusammenhang mit Menschenansammlungen für uns nicht (mehr) erkennbar war. Unabhängig davon und jenseits der vielfach geäußerten verfassungsrechtlichen Bedenken gegen das Vermummungsverbot halten wir diese Verfolgungspraxis für rechtspolitisch kritikwürdig. Die Vorschriften schützen die Rechtsordnung abstrakt, der tatsächliche Sicherheitsgewinn solcher Maßnahmen besteht daher oft nur virtuell.

Unserem Eindruck nach erfolgen Festnahmen nach Demonstrationsende wegen "Vermummung" oder "Mitführen verbotenen Gegenstände" in großer Zahl. Es liegt die Vermutung nahe, dass diese Begründung wegen der Weite und Abstraktheit der Strafvorschriften von Polizeibeamten als willkommener Anlass für Festnahmen häufig genutzt wird. Widersetzen sich die Betroffenen den Maßnahmen, folgt dem eine Strafverfolgung wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamt_innen (§ 113 StGB) dann unabhängig davon, ob tatsächlich eine nach dem Versammlungsgesetz strafbare Tat vorgelegen hat oder nicht. Im Ergebnis provoziert die Polizei häufig so die tatsächlich verfolgten Straftaten durch ihren Zugriff erst selbst. Im Interesse einer gewaltpräventiven Konfrontationsvermeidung fordern wir daher mehr polizeiliche Zurückhaltung.

Weiterhin ist angesichts des großen Polizeiaufgebots unverständlich, warum Polizeibeamt_innen von 3 Uhr morgens bis nachts um 1 Uhr ununterbrochen im Einsatz sein müssen. Unabhängig davon, dass dies unzumutbare Arbeitsbedingungen sind, trug das auch nicht gerade zur Deeskalation bei.

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Dienstag, Februar 01, 2011

Einsatzbeobachtung bei der Räumung der Liebigstr. 14

Aus aus Anlass der für Mittwoch, den 2. Februar 2011, um 8 Uhr morgens angekündigten Räumung der Liebigstr. 14 führen der arbeitskreis kritischer juristinnen und juristen an der Humboldt-Universität zu Berlin (akj-berlin) und die kritischen jurist_innen der Freien Universität (kj) eine Einsatzbeobachtung in Friedrichshain durch.

Wir werden mit 14 Beobachter_innen die polizeiliche Räumung sowie die damit in Zusammenhang stehenden Demonstrationen begleiten und das Geschehen dokumentieren. Dabei verstehen wir uns ausdrücklich nicht als Teil der Protestaktionen. Unabhängig von dessen Anliegen ist für uns allein entscheidend, die Grundrechte der Handelnden, insbesondere auf Versammlungsfreiheit zu schützen.

Stefanie Richter, Sprecherin des akj-berlin:
„Wir verstehen die bevorstehende Räumung und die dagegen zu erwartenden Proteste als Teil eines urbanen Veränderungsprozesses der Ausgrenzung sozial-alternativer Lebensentwürfe, in dessen Zuge die Polizei als Symbol staatlicher Verantwortlichkeit in den Mittelpunkt der sozialen Auseinandersetzungen gerät. Zwangsmaßnahmen zur Herstellung von Sicherheit und Ordnung sollen verpasste Gelegenheiten der politischen Verantwortungsträger_innen für ein sozialintegratives Handeln ersetzen. Um so wichtiger erscheint es uns, dass die polizeilichen Maßnahmen wenigstens auf der Grundlage der Spielregeln des demokratischen Rechtsstaats erfolgen, insbesondere verhältnismäßig und ohne diskriminierende Wirkung sind.“

Wie gewöhnlich werden wir das Geschehen dokumentieren und anschließend eine Presseerklärung zum Verlauf der Geschehnisse abgeben. Wie bereits aus den letzten Jahren bewährt, werden die Beobachter_innen, durch rosa Ausweise und neongelbe Westen gekennzeichnet vor Ort sein.

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