Vermummungsverfolgung in Schöneweide
Bericht zur Beobachtung der Demonstration »Gemeinsam gegen Nazis« am 30. April 2013 in Berlin-Schöneweide
Am 30. April 2013 fand in Berlin-Schöneweide eine antifaschistische Demonstration gegen die im Bezirk befindlichen neonazistischen Infrastrukturen statt. Antifaschistische Demonstrationen sind in besonderem Maße polizeilichen Repressionen ausgesetzt. Aus diesem Grund führte der arbeitskreis kritischer juristinnen und juristen an der Humboldt-Universität zu Berlin (akj-berlin) eine Demonstrationsbeobachtung mit über 20 Beobachter_innen durch.
Die Demonstration begann um 17 Uhr mit einer Kundgebung vor dem S-Bahnhof Schöneweide und zog dann in einer Schleife durch Niederschöneweide, bevor sie entlang verschiedener Lokalitäten der rechten Szene auf die andere Spreeseite nach Oberschöneweide wechselte. Die Demonstration bewegte sich friedlich und entschlossen durch den Kiez bevor sie von der Polizei mehrfach mit dem Vorwurf der Vermummung aufgehalten wurde, obwohl aus den Fenstern der umstehenden Gebäude massiv von Anwohner_innen gefilmt und fotografiert wurde, teilweise auch mit Teleobjektiv und maskiert. Der Demonstrationszug mündete schließlich gegen 20 Uhr in einem Konzert auf dem Platz am Kranbahnpark.
Schon vor Versammlungsbeginn war die Bundespolizei – als einzige der eingesetzten Polizeieinheiten ohne individuelle Kennzeichnung – auf mehreren Bahnhöfen entlang der Anfahrtsstrecke präsent. Auf dem Bahnsteig von Schöneweide forderte sie vermeintliche Teilnehmer_innen auf, ausschließlich den Ausgang Sterndamm zu benutzen. Auf dem Bahnhofsvorplatz fanden systematische Vorkontrollen statt. Dabei ließen sich die Beamt_innen u.a. Flyer und die noch in den Taschen befindlichen Transparente zeigen. Beobachtet wurde auch, dass Wollhandschuhe, Halstücher und andere Kleidungsstücke sichergestellt wurden; eine Beamtin durchsuchte nach eigenen Angaben die Taschen stichprobenartig, besonders penibel nach Drogen. Es kam auch zu länger andauernden Identitätsfeststellungen.
Die Polizei war mit massiven Einsatzkräften vor Ort. Auch eine große Anzahl von Zivilbeamt_innen lief in der Demo mit. An einer Stelle wurden laut bellende Polizeihunde an die Teilnehmer_innen herangeführt. Absurd wirkte das Aufgebot zweier Wasserwerfer sowie eines Räumpanzers, mit denen entlang der Demoroute teilweise bloße Straßensperrungen sowie auf der Brückenstraße die Nazikneipe »Zum Henker« abgesichert wurden. Besonders dort war angesichts der engen Straßenverhältnisse nicht nachvollziehbar, wie der Wasserwerfer hätte eingesetzt werden können, ohne einen unverhältnismäßig hohen Personen- und Sachschaden anzurichten. Unabhängig davon lieferte die Demonstration keinen Anlass für solcherlei Maßnahmen. Auf der Spree war die Wasserschutzpolizei und in der Luft zeitweise ein Hubschrauber im Einsatz.
Die Polizei hatte schon einige Tage vor der Versammlung die Anwohner_innen mit Aushängen informiert, in denen sie u.a. darum bat, »die Haustüren und Hofeingänge ganztägig geschlossen bzw. verschlossen zu halten, um Verschmutzungen und Beschädigungen in den Hausfluren und Höfen zu vermeiden sowie Unbefugte von den Grundstücken fern zu halten.«
Ab Flutstraße Ecke Schnellerstraße begann die Polizei damit, die Demospitze gezielt zu filmen. Demgegenüber fanden nach unserer Beobachtung keine sogenannten »Übersichtsaufnahmen« nach dem, vor zwei Tagen in Kraft getretenen »Gesetz über Übersichtsaufnahmen zur Lenkung und Leitung des Polizeieinsatzes bei Versammlungen unter freiem Himmel und Aufzügen« statt.
Entlang der gesamten Demonstrationsroute wurden die Teilnehmer_innen von Anwohner_innen und teilweise als Neofaschisten erkennbaren Schaulustigen aus Fenstern und Läden gefilmt. Zum Selbstschutz vor Proskriptionen im Internet, insbesondere durch die Antiantifa, verdeckten einige Demonstrant_innen ihre Gesichter. Diesbezüglich wurde vom Lautsprecherwagen gegenüber der Polizei auch mehrfach um Verständnis gebeten. Diese unterbrach die Demonstration immer wieder und forderte ein Ablegen der Vermummung. Einsatzkräfte, nun behelmt, zogen längst der Demospitze auf und bedrängten diese durch enges Spalierlaufen.
Stefanie Richter erklärt dazu: »Obwohl von der Demonstration keine Eskalationen ausgingen, kam es im Verlauf der Versammlung wiederholt zu brutalen Angriffen durch Polizeikräfte, um Festnahmen durchzuführen, die sich auf den Vorwurf der Vermummung bezogen. Übergriffe wie diese als Antwort auf Vermummungen sind völlig unverhältnismäßig und greifen wegen ihrer abschreckenden Wirkung massiv in die Versammlungsfreiheit auch anderer Teilnehmer_innen ein. Umso mehr als die Strafgerichte bei Videoaufzeichnungen durch politische Gegner schon mehrfach einen rechtfertigenden Notstand akzeptiert haben. Es ist bemerkenswert, dass die Teilnehmer_innen dennoch so umsichtig und ruhig blieben.«
Insgesamt wurden 16 Festnahmen beobachtet. Nur in einem Fall wurde der Betroffene vor der Ingewahrsamnahme angesprochen und zum Mitkommen aufgefordert. In allen anderen Fällen erfolgten die Festnahmen unvermittelt und gewalttätig. Dabei wurde beobachtet, wie auf der Edisonstraße eine durch Beamt_innen zu Boden gebrachte Person noch mehrfach von diesen in den Bauch getreten wurde. Besonders brutal waren die Festnahmen auf dem Konzertplatz. Dabei wurde Umstehenden ins Gesicht geschlagen, ihnen Pfefferspray angedroht oder eingesetzt. Mehreren Festgenommenen wurde der Mund zugehalten und eine Person mehrere Meter über den Boden geschleift, so dass es zu Blutungen am Kopf kam. Als besonders aggressiv fielen in diesem Zusammenhang Beamt_innen der 2. Hundertschaft der 1. Bereitschaftspolizeiabteilung sowie der Direktionshundertschaft E 11 auf.
Während des Konzerts wurden Besucher_innen, welche den Kranbahnpark über eine Fußgängerbrücke zur Hasselwerder Straße verlassen wollten, um nicht noch einmal an der Kneipe »Zum Henker« vorbei kommen zu müssen, mit Pfefferspray am Durchgang gehindert. Erst nach einiger Zeit wurden eine Gruppe zum S-Bahnhof eskortiert und auch noch in den Zügen begleitet.
Stefanie Richter resümiert: »Solange sich die Polizei zurückhielt und nur vor und hinter der Demo präsent war, konnte diese selbstbestimmt und gelassen durch den Kiez ziehen. Erst infolge des polizeilichen Durchgreifens gegen die Vermummung und das überflüssige Auffahren von Wasserwerfern wurde eine bedrohliche Stimmung erzeugt, die einschüchternde Wirkung hatte.«
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