Dienstag, Dezember 18, 2007

Guantanamo auf Griechisch

Eine Buchvorstellung

Als im Juni 2002 im Hafen von Piräus eine Bombe vorzeitig in der Hand von Savvas Xiros explodiert und ihn schwer verletzt, wird das Ende einer Ära eingeleitet: 27 Jahre lang war die „Revolutionäre Organisation 17. November“ (kurz: 17N) in Griechenland aktiv, ohne dass je eines ihrer Mitglieder gefasst worden wäre. 17N war verantwortlich für etliche Anschläge mit Bomben und Panzerfäusten auf in- und ausländische Institutionen, Attentate auf Folterer der Militärjunta, griechische Politiker und Industrielle sowie US-amerikanische, britische, deutsche und türkische Geheimdienstagenten und Diplomaten. Mitglieder des 17N erschossen u. a. den CIA-Chef in Athen.

Der Schwerverletzte Xiros wird in die Intensivstation eines Krankenhauses eingeliefert, an Händen und Füßen auf das Krankenbett gefesselt und zunächst tagelang vollständig von der Außenwelt isoliert. Ihm werden Psychopharmaka per Tropf eingeflößt und er wird intensiv verhört. Der Kontakt zu einem Anwalt oder seiner Familie wird ihm versagt. Unter dem Druck seiner schweren Verbrennungen und Verletzungen (er ist durch die Explosion u. a. seh- und hörgeschädigt) und der durch die Drogen hervorgerufenen Wahnvorstellungen spricht Xiros. Was er aussagt, ist eine Mischung aus ihm abgepresstem Wissen und ihm vorgegebenen Suggestionen. Auf Basis dieser „Informationen“ kommt es zu weiteren Verhaftungen. Die neu verhafteten werden ebenfalls isoliert und mit verschiedensten Methoden zu Aussagen gepresst.

Die meisten dieser Aussagen werden später im Prozess zurückgezogen, die Angeklagten widersprechen vehement ihrer Verwertung. Da aber die Indizien in dem Verfahren knapp sind, stützt sich die Verurteilung in 1. und 2. Instanz wesentlich auf diese mit verbotenen Methoden erlangten Aussagen. Mehrere Angeklagte werden zu mehrfach lebenslänglichen Haftstrafen verurteilt. Der schwerkranke und pflegebedürftige Savvas Xiros wird trotz aller Anträge auf Haftverschonung bis heute weiter gefangen gehalten.

Savvas Xiros hat im Gefängnis ein Buch verfasst über die medizinisch-psychologische Folter, der er während der ersten zwei Monate auf der Intensivstation ausgesetzt war. Unterbrochen von einzelnen Stationen aus seinem früheren Leben, beschreibt er die Ängste, Schmerzen, Wahnvorstellungen und Suggestionen, denen er ausgeliefert ist.

Ich bin von der Idee durchdrungen, das man mich verschwinden lassen will. Ich kämpfe weiterhin mit den Psychopharmaka, im Chaos versunken, von drohenden Schatten umgeben, unter Atemnot, dem Gelb, das mir den Boden unter den Füßen entzieht, den Stricken und diesem Pfeifen, der Musik, die mir das Hirn durchlöchern. Wenn eine Flasche zuende ist, gibt es eine kurze Pause, bis die nächste am Tropf aufgehängt wird. Dann weichen die Gase zurück, mildert sich die Atemnot und die Gedanken verzetteln sich nicht so sehr.“

Xiros schreibt mit der erst im Nachhinein gewonnenen Klarheit über die Vorgänge, aber mit der Qual des gegenwärtig Gefolterten. Die Unmittelbarkeit seiner Beschreibungen hat die hervorragende Übersetzerin Heike Schrader auch ins Deutsche herübergerettet. Der Alptraum erhebt sich aus den Buchseiten, um uns einzufangen.

Das bei Buch ist lesenswert, nicht nur weil es die Brutalität der modernen medizinisch-psychologischen Folter plastisch macht, sondern auch weil es Fragen mit Sprengkraft aufwirft: Savvas Xiros ist kein Unschuldiger, er wurde auf frischer Tat gefasst und hat seine Mitgliedschaft in 17N nie geleugnet. Deshalb haben Bürger- und Menschenrechtsorganisationen sich schwer getan, die Folterung und die Verwertung der Erkenntnisse im Prozess anzuprangern, obwohl die Umstände in Griechenland seit langem bekannt sind. Zu gross war die Angst, als Sympathisanten oder Unterstützer des 17N diskreditiert zu werden. Was aber nützt ein Folterverbot, das nicht absolut gilt? Wem wollen wir die Definition überlassen, wer ein „Terrorist“ ist und misshandelt werden darf? Zumal auch in diesem Fall bis zur rechtskräftigen Verurteilung die Unschuldsvermutung hätte gelten müssen. Das Buch macht deutlich, dass der Kampf gegen die Folter in allen Fällen geführt werden muss, gerade auch in den unbequemen, in den Fällen der Schuldigen. Sonst haben wir ihn schon verloren.

Savvas Xiros „Guantanamo auf Griechisch – Zeitgenössische Folter im Rechtsstaat“, übersetzt von Heike Schrader, Verlag: Pahl Rugenstein, 130 Seiten, 13,90 Euro.

Labels:

Sonntag, Dezember 02, 2007

Gelebte Misanthropie. Berichte aus der Staatsanwaltschaftsstation - V

Was noch folgte, waren drei nicht unanstrengende, aber gleichzeitig erhellende disziplinierungsgespräche – zunächst mit meiner ausbilderin, dann mit der abteilungsleiterin bei der staatsanwaltschaft, und zuletzt mit dem leiter der referendarsabteilung. Zusammengefaßt läßt sich sagen, daß alle (!) meine prinzipiellen bedenken verstehen können und selber wissen, daß es im knast echt beschissene zustände gibt. Nur daß das nicht in der verhandlung von der staatsanwaltschaft gesagt werden darf. (Die sich mir aufdrängende und hoffentlich deutlich gewordene frage lautet: Wenn ihr das alles einerseits auch so kritisch seht, andererseits aber nicht aus der rolle fallen wollt, wieso sagt ihr dann nicht wenigstens irgendwo anders was, wieso macht ihr nicht irgendwie auf „mißstände“ aufmerksam?) Aber der reihe nach:


Moderato

Zuerst kam, wie gesagt, ein weiteres gespräch mit meiner ausbilderin. Ich bilde mir ja immer ein, auf viele fragen gewappnet zu sein, und das hat auch halbwegs gut geklappt. Strenger unterton: „Wenn Sie denn meinen, daß Sie freiheitsstrafen nicht vertreten können, haben Sie sich denn mal überlegt, in einem anderen bundesland das referendariat zu machen, in einem bundesland, wo man nicht zur staatsanwaltschaft muß?“ Danke für die unterstellung, ich sei faul. „Ja, ich habe tatsächlich darüber nachgedacht, die station in Brandenburg zu machen, wo mensch statt zur staatsanwaltschaft zum strafgericht kann. Aber bei einem strafrichter wäre ich ja kaum besser aufgehoben gewesen.“ „Ja, das sehe ich ein“, freundlich-amüsiertes lachen ihrerseits. „Und was hätten Sie denn getan, wenn es um ein delikt gegangen wäre, für das das gesetz zwingend nur freiheitsstrafe vorsieht?“ Verblüffung meinerseits. Das wäre mir hochgradig egal gewesen, vermutlich hätte ich es noch nicht einmal mitbekommen. Zur erklärung für nicht-juristInnen: jeder einzelne straftatbestand enthält auch eine angabe über den strafrahmen, also wieviel für eine bestimmte mindestens und maximal verhängt werden kann. Bei eher leichten sachen von einer niedrigen bis zu einer hohen geldstrafe, bei schweren sachen von einer kurzen bis zu einer langen freiheitsstrafe. Und bei der tat, wegen der ich statt auf freiheitsstrafe auf geldstrafe plädiert hatte, mindestens geldstrafe bis maximal x jahre. Wie gesagt, das hatte ich mir vorher gar nicht explizit angeguckt. Aber wie einer staatsanwältin erklären, daß, wenn ich prinzipiell was gegen knast habe, ich auch die gesetzeslage herzlich irrelevant finde? Eine reichlich absurde vorstellung, daß ein anderer strafrahmen an meiner argumentation was geändert hätte. Auf diese frage war ich dann doch nicht vorbereitet. Kurzes überlegen meinerseits, mit dem ergebnis, kein freimütiges „Das wäre mir egal gewesen.“ von mir zu geben, sondern dies juristisch zu formulieren, nämlich „Dann hätte ich übergesetzlich argumentiert.“ „Übergesetzlich“, das sagt der jurist, wenn das, was er rechtlich irgendwie anerkennen oder legitimieren will, von der gesetzeslage wirklich nicht vorgesehen ist, wenn also das gesetz „egal“ ist. Reaktion meiner ausbilderin: „Aha.“ Okay, zumindest habe ich keinen angriffspunkt eröffnet. So ein paar fragen in die richtung kamen noch, aber keine schlimmen auseinandersetzungen. Puh. Und zum schluß des gesprächs dann noch der hinweis, daß Frau E., die abteilungsleiterin mich noch deswegen sprechen möchte, gleich am nächsten tag, ob ich denn zeit habe. Sehr wohl, stets zu diensten. Frau E. ist eine eher strenge person, aber naja, das kriege ich auch noch hin. Schult ja auch alles ungemein. So rein menschlich hätte ich mir trotzdem von meiner ausbilderin noch ein „Alles gute für das gespräch“ oder sowas gewünscht, aber das waren wohl unpassende erwartungen.

Allegretto

Tags darauf gab sich Frau E. glücklicherweise nicht autoritär-unfreundlich, sondern seriös-verbindlich. Womit ich viel besser umgehen konnte, auch wenn sie mich ein wenig an Dolores Umbridge erinnert hat. Auch diesmal wieder ein paar „Was würden Sie denn machen, wen...?“-fragen, um meine konsequenz zu testen: Was ich im schriftlichen examen machen würde, wenn ein totschlag drankäme zum beispiel. (Auf totschlag steht lebenslange freiheitsstrafe.) Den unterschied zwischen einer theoretischen prüfungsarbeit und dem praktischen mitwirken an einer

tatsächlichen strafe konnte ich ihr nicht vermitteln, aber naja. Was denn wäre, wenn ich während der staatsanwaltschaftsstation eine anklageschrift schreiben müßte, wo nach den delikten eindeutig eine freiheitsstrafe 'rauskäme. (Wieder eine kurze erklärung: anklageschriften schreiben, das ist das, was mensch die ganze zeit tun muß. Aber da ist noch kein strafantrag drin, da steht nur, wegen welcher delikte angeklagt wird.) Bei dieser frage bin ich doch noch ins rumeiern gekommen. Obwohl sich ja schon halbwegs plausibel ein unterschied aufzeigen läßt zwischen der feststellung eines bestimmten sozial schädlichen verhaltens (die ich manchmal notwendig finde) und der bestrafung dessen (die ich kontraproduktiv finde). Das gelang mir jedoch nicht mehr, dafür war ich zu angespannt.

In der nachbetrachtung würde ich sagen, daß es eine sehr clevere strategie von ihr war, meine kritik ausschalten zu wollen, indem mir gezeigt wurde, daß ich ja auch ein bißchen mit im boot sitze und auch dreck am stecken habe. Als ob ich das nicht wüßte! Keine frage, hundertprozentig korrekt und system-unangepaßt ist es nicht, das referendariat zu machen und dabei notgedrungen für die staatsanwaltschaft zu arbeiten. Aber ich habe da weniger scheiße verzapft als andere referendarInnen, und vor allem würde ich diesen job nie freiwillig machen. Diesen unterschied im ausmaß des eigenen verkehrten verhaltens, den finde ich nun wiederum gar nicht irrelevant. Und er rechtfertigt es meiner meinung nach auch, offen kritik zu üben.

Noch spannender als die eigenen gedanken-querelen waren aber diejenigen von Frau H., mit denen das gespräch eigentlich auch angefangen hatte. Nachdem ich nochmal das ganze aus meiner sicht schildern mußte, erklärte mir Frau H. nämlich die welt der rechtspflege – von ihrer moralischen perspektive aus: Es sei nämlich, so Frau H., egoistisch von mir gewesen, meine eigenen befindlichkeiten über die interessen der staatsanwaltschaft und über den staatlichen strafanspruch zu stellen. Im referendariat gelten ja für mich auch die beamtenrechtlichen treuepflichten, und da müsse ich der institution gegenüber loyal sein und dürfe mich und meine meinung nicht in den vordergrund stellen. Alles andere sei egoistisch. Das fand ich sehr lustig, und ich hätte der guten frau gerne erklärt, daß sie damit recht haben mag, aber kaum eine geeignete person ist, so eine kritik anzubringen. Denn was egoismus angeht, steht es bei uns beiden vermutlich 1:1. Ich glaube auch nicht daran, daß es wirklich altruistisches handeln gibt, natürlich ziehe ich ein gewisses maß an befriedigung aus der ganzen geschichte. Aber ob die größer ist als die, die sie im job bekommt? Wenn sie sich so ergeben der institution staatsanwaltschaft unterordnet und ihre eigene meinung opfert, dann empfindet sie ja wohl auch ein bißchen genugtuung bei dieser total gemeinnützigen entsagung, sonst würde sie das ja kaum so betonen. Abgesehen von verbeamtung und einem recht angenehmen einkommen.

Naja, sie war aber gerade sehr im redefluß, und ich lasse menschen eigentlich gerne ausreden. Wenn jemand was ganz wichtiges zu erzählen hat, dann gebe ich ihr am liebsten erstmal die zeit dafür, sonst hört sie mir ohnehin nicht zu. Und ich selbst glaube ja auch, was ganz wichtiges zu sagen zu haben. ;-) Also habe ich erstmal abgewartet, und das hat sich auch gelohnt. Frau H. bestätigte mir nochmal die wirkung meiner aktion, in sehr vorwurfsvollem ton: „Sie haben der institution geschadet. Wissen Sie das?“ Ernstes gucken meinerseits, begleitet von einer bejahung. Viel mehr konnte ich dazu nicht sagen. Zugegeben, ich mußte auch ein gewisses amusement verbergen. Meint sie tatsächlich, mir damit ein schlechtes gewissen machen zu können? Faszinierend. Ich hatte es ja nicht auf so eine „schädigung“ angelegt, in erster linie ging es mir tatsächlich darum, mich nicht selbst zum duckmäusertum zu erziehen. Aber nachdem sich das so als kleiner nebeneffekt herausgestellt hatte... Andererseits weiß ich auch, daß so eine kleine refendarsaktion nur pille-palle-opposition darstellt, und daß disziplinierende reaktionen nicht darüber hinwegtäuschen können. Aber daß Frau H. da nochmal so ihr gütesiegel draufgedrückt hat, das war mir nicht explizit unangenehm.

Glücklicherweise war sie immer noch ganz in ihrer interpretation gefangen und verlangte außer meiner kurzen antwort kein statement, keine rechtfertigung, kein schuldbewußtsein oder was auch immer. Stattdessen schilderte sie mir, wie mensch denn richtig an jura und insbesondere an rechtsprechung und die staatsanwaltschaft herangehen muß. Zusammengefaßt: immer mit dem blick auf's große ganze – das kann dann auch der staatliche strafanspruch sein –, nicht fixiert auf das menschlich-individuelle detail. O-ton: „Natürlich gibt es haftbedingungen, die menschenunwürdig sind. Zum beispiel wenn mehrere personen auf wenigen quadratmetern untergebracht sind, und die toilette ist nur mit einem vorhang abgetrennt.“ „Das muß man sich immer bewußt machen, daß es urteile gibt, die einen menschen physisch wie psychisch vernichten können. Nicht nur im strafrecht. Auch im zivilrecht kann es urteile geben, bei denen sich hinterher einer den strick nimmt.“ Aber das dürfe eineN halt nicht beeinflussen, das erfordere die neutrale gesetzesanwendung so.


Das verlangt ja wohl keine kommentierung. Meine ungefärbte innere reaktion hätte ungefähr „Ja, das alles gibt es, und genau diese vom menschen abstrahierende herangehensweise finde ich total verkehrt!“ gelautet. Und wiederum meine frage an mich selbst: Meine güte, wie kann ich der frau nur einen ansatz dessen nahebringen, ohne es so deutlich als vorwurf zu formulieren, daß sie sich nur verteidigt? Ich habe dann gaaanz vorsichtig formuliert, daß ich gerade versuchen würde, solche folgen von rechtsanwendung mit einzubeziehen, und daß ich das wichtig finde. Klar, ich hätte ihr auch die harte polit-argumentation um die ohren hauen können, daß mensch sich auf diese weise bei jeder schweinerei rausreden kann und daß das auch die nazi-juristen so als rechtfertigung vorgetragen haben (wobei das nicht stimmt, die haben in keinster weise neutral das gesetz angewendet, sondern nach rechts gebogen, was sich nur irgendwie biegen ließe). Aber ich hatte das gefühl, schon ein wenig angekratzt zu haben, und wollte sie darin lieber bestätigen, als eine abschottende verteidigung zu provozieren. Sei's drum, vielleicht sind das auch alles überinterpretationen. Jedenfalls fand ich es schon krass, wie sich die frau offensichtlich jeden tag einreden muß, daß die gemeinheiten, die sie anderen antut, ja eigentlich total gut sind. Andererseits: Wahrscheinlich ist das bei allen da so.

Ihre letzte argumentationslinie bezog sich auf die opfer von straftaten, an die ich ja auch denken müsse. Da hat sie tatsächlich einen punkt, aber: wenn es schon manchmal sowas wie „genugtuung“ geben muss, dann doch möglichst auf eine sinnvollere art und weise? Vielleicht geht es vielen opfern wirklich besser, wenn sie wissen, daß der/diejenige erstmal eine weile im knast sitzt. Aber da drin passiert ja meist der gleiche mist, und die opfer von gewalt im knast können sich noch viel weniger wehren. Und sorry, das anti-sexistisch anmutende pro-opfer-engagement von Frau E. konnte ich auch wegen ihrer wortwahl nicht ganz ernstnehmen: Wer für sexualisierte gewalt das wort „schänden“ benutzt, zeigt einfach eine gedankenwelt von vorgestern und hat meiner meinung nach sehr wenig begriffen von den gesellschaftlichen rahmenbedingungen und vorstellungen, die diese form von gewalt ermöglichen.

Andante

Zu guterletzt noch das gespräch mit dem leiter der referendarsabteilung, an die abteilungsleiterin – „Dazu sind wir verpflichtet.“ – das ganze weitergeleitet hatte. Dieser, Herr E., entpuppte sich schon am telefon als sehr angenehm, freundlich, entspannt: „Ich möchte gar nicht mit Ihnen schimpfen.“ „Wann hätten Sie denn zeit?“ Nicht so ein herbei-zitieren wie bei der staatsanwaltschaft. Das gespräch selbst war sogar recht nett, Herr E. ernsthaft interessiert, freundlich und angenehm korrekt, auch mir gegenüber. Hat mein verhalten gerügt – wieder nicht wegen der kritik an sich, die er sehr berechtigt fand, sondern wegen des falschen ortes und des loyalitätverstoßes – und im übrigen befunden, daß er nicht die notwendigkeit sieht, deswegen irgendeinen vermerk in meiner personalakte zu machen. Aber wenn ich das wünschen würde, könne er auch einen schreiben. Und er hoffe ja, daß ich kein zu schlechtes bild von richtern habe, ich solle mir das doch nochmal als berufsbild überlegen, nicht unbedingt im strafrecht, aber prinzipiell ließe sich ja auch von der position des gerichts aus einiges bewirken. Süß! Nichts, was ich ernsthaft in erwägung ziehen würde, aber: Wenn ihm, einem ehemaligen richter, meine aktion nicht so krass vorkommt, dann... läßt sich das ja doch unbeschwert weiterempfehlen? Was ich hiermit explizit tue. (Ohne viel stress kann mensch vermutlich einfach zu beginn der station sagen, daß mensch keine sitzungsvertretung machen möchte. Ob es dann unbedingt ein schlechtes zeugnis geben muß, weiß ich nicht, eigentlich soll die sitzungsvertretung nicht benotet werden. Darum habe ich mich nicht mehr gekümmert, ich war mit meinem zeugnis nicht unglücklich – s.u.)


Da wären wir beim fazit (ritardando): Was hat das ganze jetzt gebracht? Mir selbst auf alle fälle einen sack von erfahrungen, alle interessant, viele auch gut. Vor allem daß es sich sehr gut anfühlt, nicht so sehr kleinbeizugeben und sich mal was zu trauen. (Ohje, nicht-juristInnen werden dieses ganze geseier bestimmt gar nicht verstehen und sich fragen, weshalb ich so ein gewese um ein paar sätzchen mache. Tschuldigung!) Außerdem ein vorzeigbares stationszeugnis, mit fair-neutraler schilderung meiner ausbilderin, wieso ich trotz vernünftiger schriftlicher arbeiten (die mitschuld, die mir auch Frau E. unter die nase gerieben hatte) halt nur 3 punkte kriege („ungenügendes Leistungsbild in einem als unerlässlich anzusehenden Bereich der staatsanwaltschaftlichen Ausbildunsstation, nämlich der Wahrnehmung des Sitzungsdienstes“). Wobei natürlich das positive feedback von vielen freundInnen ganz enorm wichtig war für den guten nachgeschmack. (Danke nochmal!) Und bei der staatsanwaltschaft / dem knastsystem / den beteiligten autoritäten? Protest zu evaluieren ist ja immer so eine sache. Bei mindestens drei personen das selbstverständnis mal kurz angekratzt, das vermutlich schon, aber mehr halt auch nicht. Hatte ich aber auch nicht bezweckt...

Verschenkt habe ich natürlich die möglichkeit, durch „mildes“ vorgehen akzente zu setzen. Aber mir scheint, daß referendarInnen ohnehin so gut wie keinen spielraum haben, und daß vor allem richterInnen unsereins nicht ernstnehmen, sich also von einem niedrigen strafantrag oder so nicht beeinflussen lassen.

(An dieser stelle eine praktische zwischenbemerkung, falls irgendwer andere vorgehensweisen in erwägung ziehen sollte: eigenmächtige einstellungen würden vermutlich als strafvereitelung verfolgt werden, erklärungen des rechtsmittelverzichts vielleicht auch. Abgesehen davon, daß beides vermutlich gar nicht klappen würde.)


Ein freund von mir – kein jurist –, dem ich ganz am anfang von der station mein leid geklagt hatte, hat mir ziemlich geholfen mit der ansicht, daß gerade diese unmittelbare erfahrung der eigenen ohnmacht für ein wirkliches verständnis von der gesellschaftlichen situation und den machtverhältnisse, in denen wir leben und an denen wir irgendwie was ändern wollen, sehr nützlich bis notwendig ist. Als ich ihm sinngemäß folgendes geschichtchen von Klaus Eschen (nachzulesen im Kursbuch 40, 1975, S. 104) erzählte: “Die Juristenausbildung gleicht, wie mir einmal Professor Redslob, der erste Rektor der FU und keinesweges ein fortschrittlicher, sagte, der Dressur von Zirkusflöhen. Die werden nämlich, nachdem man sie gefangen hat, in eine Zigarrenkiste gesperrt, auf die man eine Glasscheibe legt. Wenn die Flöhe versuchen, aus der Kiste zu hüpfen, stoßen sie sich an der Scheibe. Nach einiger Zeit lernen sie, wie hoch sie springen können, ohne sich zu stoßen. Wenn man jetzt die Scheibe abnimmt, haben sie sich abgewöhnt, aus der Kiste zu springen. Dieser Vorgang wird in immer niedrigeren Kisten wiederholt, bis die Flöhe so wenig Platz haben, daß sie überhaupt nicht mehr springen können. Wenn sie dann gelernt haben, sich nur noch kriechend fortzubewegen, ist ihre Ausbildung für den Flohzirkus abgeschlossen. Bezogen auf die Juristen ist dies etwa der Zeitpunkt des Assessorexamens.”, als ich ihm das erzählte, meinte er, viel unangenehmer und gefährlicher fände er es, wenn leute sich einbilden würden, daß sie springen würden, ohne es wirklich zu tun und tatsächlich nur kriechen.

Damit hatte er mir nicht nur ein bißchen was zu denken gegeben, sondern mir auch sehr geholfen, mit dieser referendarsstation (und vielem anderen) umzugehen. Irgendwie muß mensch wohl einen weg suchen zwischen kriechen und glasdecke (aua) und illusion.

Labels:

Samstag, Dezember 01, 2007

Unsere heutige Klausuraufgabe für ReferendarInnen

Angenommen sei folgender fiktiver Sachverhalt:

A stellt bei der Staatsanwaltschaft folgende Strafanzeige:

»Am Samstag, dem 24. November 2007, nahm ich an der Silvio-Meier-Demo teil. In der xy-Str. auf Höhe abz-Str. wurde ich von einer mir unbekannten Person ohne für mich erkennbaren Grund beim Vorbeilaufen in die Magengegend geboxt. Diese Person trug grüne Kleidung, auf dessen Rücken die Zahl "1212" und zwei Punkte angebracht waren.«

Bearbeiterhinweis: Formulieren sie die Einstellungsverfügung.

Labels: