Freitag, November 19, 2010

Thomas heißt jetzt Karl

Das ARD-Polimagazin „Monitor“ berichtet hier mit leichtem Schmunzeln über eine Softwaremacke im Zusammenhang mit dem neuen Personalausweis, obwohl die Geschichte eher nicht zum Lachen ist.

Ausgangspunkt ist, dass es Menschen mit mehreren Vornamen gibt, bei denen – was nicht so selten sein dürfte – der erste Vorname nicht der Rufname ist.

In der maschinenlesbaren Zone des Ausweises steht in solchen Fällen jetzt nicht mehr der Rufname, sondern der erste Vorname. „Monitor“ berichtet, dass die Bundesdruckerei die Software für Ausweispapiere umgestellt hat:
»Eine Beeinflussung des in der maschinenlesbaren Zone abgedruckten Namens ist nicht mehr möglich. In diesem Zusammenhang kann auch der Rufname nicht mehr festgelegt werden.«
Dasselbe Problem steht wohl auch bei Fahrzeugpapieren an. Das Problem dadurch zu umgehen, in der Datenmaske einfach den Rufnamen an die erste Stelle zu setzen, geht nicht, denn die in der Geburtsurkunde festgehaltene Reihenfolge ist verbindlich.

Wie reagiert das Bundesministerium des Innern (BMI) darauf? Auf ein Schreiben eines Betroffenen teilt es mit (laut „Monitor“):
»Ich möchte Sie darauf hinweisen, dass alle in einer Geburtsurkunde eingetragenen Vornamen gleichberechtigt sind und es daher im rechtlichen Sinne keinen Rufnamen gibt.«
Wir wissen nicht, ob die/der BMI-Mitarbeiter_in für diese Antwort im Archiv des Reichs- und preußischen Staatsministerium des Innern gestöbert und
zu lange den dortigen Aktenstaub inhaliert hat. Das jedenfalls würde diese kaltschnäuzige Einstellung erklären.

Wir erinnern kurz daran: Der Name eines Menschen ist durch das allgemeine Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG) geschützt. Zitat:
»Geschützt durch das allgemeine Persönlichkeitsrecht ist der Name eines Menschen, der Ausdruck der Identität sowie Individualität des Namensträgers ist und sich als solcher nicht beliebig austauschen lässt. Er begleitet vielmehr die Lebensgeschichte seines Trägers, die unter dem Namen als zusammenhängende erkennbar wird. Der Einzelne kann daher grundsätzlich verlangen, dass die Rechtsordnung seinen Namen respektiert und schützt. Eine Namensänderung beeinträchtigt die Persönlichkeit und darf nicht ohne gewichtigen Grund gefordert werden. Dabei ist der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu wahren (vgl. BVerfGE 78, 38 [49]; 84, 9 [22]; 97, 391 [399]). Dies gilt nicht nur für den von der Rechtsordnung zugelassenen und somit rechtmäßig erworbenen, sondern auch für den von einem Menschen tatsächlich geführten Namen, wenn sich mit diesem Namen eine Identität und Individualität des Namensträgers herausgebildet und verfestigt hat und sich im Vertrauen auf die Richtigkeit der Namensführung auch herausbilden durfte.«
(BVerfG, Beschluss vom 11.4.2001 – 1 BvR 1646/97 –, Absatz-Nr. 10)

Die wichtigsten Stellen haben wir mal fett hervorgehoben, da im BMI das Lesen von Bundesverfassungsgerichtsentscheidungen offensichtlich schwerfällt.

Nachtrag:
Na, da habe ich doch die Punkte vergessen, die deutlich machen, dass es nicht um »Grundrechtshypertrophie« geht, sondern das Ganze auch handefeste Auswirkungen hat. Muss mensch noch andere Dokumente vorlegen, auf denen der Rufname steht, zum Beispiel Abschlusszeugnisse, SV-Ausweis usw. bei Bewerbungen, darf er jedes Mal erklären, dass sie/er kein/e potenzielle Betrüger_in ist, sondern die vom Amt sich dämlich anstellen. Und Monitor empfiehlt, bei Reisen außerhalb Europas das Flug-Ticket künftig wohl lieber gleich auf den ersten Vornamen ausstellen zu lassen, um peinliche Situationen beim Einchecken zu verhindern. (Sie meinen wohl "peinliche Befragungen" durch die TSA, trauten sich das aber nicht laut zu sagen ;-) )

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Dienstag, November 09, 2010

Polizei auf Abwegen, akj mittendrin

Mensch sollte meinen, die Polizei hätte derzeit im Wendland genug zu tun. Während aber der Castor noch immer darauf wartet, seinen Beitrag zur wissenschaftlichen Erkundung der Eignung von Salzstollen als Endlagerstätte für radioaktiven Müll zu leisten, "vergnügen" sich einige Beamt_innen damit, Falschmeldungen über "geplante Aktionen" im Castorradio zu lancieren, oder durchsuchen ohne richterlichen Beschluss mehrere Bauernhöfe an den zwei möglichen Castortransportrouten nach Gorleben.

Wie das Legal-Team mitteilte, begannen Polizeibeamt_innen, darunter die Beweissicherungseinheit aus Oldenburg und die 5. Einsatzhundertschaft aus Göttingen, gegen 17 Uhr damit, mindestens drei Höfen in Grippel, Zardrau und Langendorf zu stürmen und die Scheunengebäude zu durchsuchen.

Während der Durchsuchung in Grippel erfolgte keinerlei Begründung der Maßnahme, die Beamten seien vermummt gewesen, trugen keine individuellen Kennzeichnungen und waren auch gegenüber den Anwesenden Rechtsanwält_innen zu keinerlei Erläuterung oder Identifizierung bereit, sondern reagierten mit Maßnahmen des unmittelbaren Zwangs ohne Ankündigung (Wegschupsen und Drängeln). Später wurde als "offizieller Sprachgebrauch" mitgeteilt, die Durchsuchungen hätten so genanntem „Sperrgut“ gegolten, also Material das zur Blockade der Nord- bzw. Südtrasse des Castor-Transportes geeignet sein könnte.

Wir fragen uns nun natürlich, ob die Polizei all das Stroh beschlagnahmt hat, das auf der Strecke von x-tausendmalquer noch immer benötigt wird – zur allgemeinen Sicherheit, versteht sich. Oder gibt es wieder mal keine Aussicht auf eine Mütze Schlaf in der Polizeikaserne für die übermüdeten Beamt_innen und sie wollen es sich daher auch auf der Strecke bequem machen – da hätten sie doch einfach mal fragen können. Tzzz...

Die akj-Demobeobachter_innen, die derzeit mit dem Komitee für Grundrechte und Demokratie e.V. vor Gorleben das Geschehen auf der Straße zum Zwischenlager im Einsatz sind, und aufgrund ihrer Ausweise offenbar als zivile Beschwerdestelle wahrgenommen werden, bestätigen unsere Vermutung:
„Es scheint mir ganz offensichtlich, dass Schlafmangel unter den Einsatzkräften eine große Rolle spielt. Das kriegen wir hier dauernd zu hören.“
Auch die Gewerkschaft der Polizei teilt mit, dass "die Polizei am Ende ihrer Kraft" sei und nimmt die Politik hierfür in Haftung. Verhaftungen führender Landes-, Komunal- oder Bundespolitiker_innen sind allerdings noch nicht vermeldet worden. Dafür wird sich lautstark, wenn auch nicht remonstrationsfähig, über mangelnde Versorgung beschwert:
„Nicht nur über die endlosen Dienstzeiten haben unsere Einsatzkräfte mit Recht Klage geführt, sondern auch darüber, dass sie in der Kälte teilweise nicht oder nur sehr spät mit heißen Getränken oder einer Suppe versorgt wurden.“
Darüber hätten sich die über 1.500 Menschen, welche in der letzten Nacht unter freiem Himmel und abgeschnitten von jeder Vokü in einer als Wagenburg errichteten Gefangensammelstelle bei Harlingen in 4 Grad Kälte bis zum Eintreffen des Castor-Zuges in Dannenberg ausharren mussten, sicherlich auch gefreut.

Indes stehts heute Nacht auf der Zufahrtsstraße vor Gorleben gut mit der Versorgung der Protestierenden: Decken, heißer Tee, Brot und Suppe, die Vokü hat aufgerockt (Qualitätsvotum der Beobachter_innen: "1A"). Auch hier zeigt sich mal wieder, der Frust auf die Aktivist_innen liegt in deren besserer Organisation – dabei könnte mensch doch einfach mal fragen (s.o.):
„Es scheint hier so eine Art 'Feindbild Demonstrant' zu existieren, dass auch bei Hunger und Not wirkungsmächtiger ist, als eigene Bedürfnisse und Überzeugungen“, analysiert eine akj-Demobeobachterin und nippt am heißen Vokü-Tee.
Derweil hat ein Polizeilauti nunmehr die angemeldete Mahnwache für aufgelöst erklärt und hinzugefügt:
„Hiermit werden Platzverweise an alle erteilt.“

>> Quizfrage Nr. 2
Wie ist der rechtliche Charakter dieser Aussage zu qualifizieren? Ist das
  1. eine Allgemeinverfügung
  2. ein Platzverweis in 4000–5000 Fällen, den allerdings höchstens 500 Leuten bekannt wurde
  3. die Erteilung einer unverbindlichen Rechtsauskunft (hier: die Ankündigung, nunmehr damit zu beginnen, das allgemeine Polizeirecht anzuwenden zu wollen, nachdem die Auflösung der Versammlung die Polizeifestigkeit des Versammlungsrechts durchbrochen hat)
  4. der beste Grund für eine Nachschulung (z.B. hier)?

Die Polizei setzte eine Frist von 15 Minuten, bis sie mit der Räumung beginnen würde. Allerdings wurde als "Abstromrichtung" ausgerechnet der Weg vorgegeben, von dem her die Räumung aus erfolgen soll. Nach den Infos der ehemaligen Versammlungsleiter_innen gibt es mit der Einsatzleitung die Vereinbarung, dass im Falle einer Räumung keine Helme aufgesetz werden und auf Schlagstöcke und Gas verzichtet wird. Die Leute würden links in den Wald getragen. Ob die Abmachung Bestand hat, bleibt abzuwarten. Der Umgang mit der verbeamteten Übermüdung ist jedenfalls sehr verschieden, wie eine unserer Beobachter_innen zu berichten weiß:
"Manche reagieren völlig daneben und erteilen völlig unsinnige Anweisungen, wenn sie den Eindruck haben, über sie werde gelacht. Andere wiederum nehmen es zum Anlass, sich nicht mehr zu bewegen, als unbedingt nötig – das schließt Gesichtszüge ein."
Also bitte, holt mehr Strohballen!

Montag, November 08, 2010

Satzbau als Gewinnspiel

Bilden sie aus den folgenden Bestandteilen einen grammatikalisch richtigen und logisch halbwegs stimmigen Satz:

Polizist, am Boden liegender Demonstrant: Tritt gegen den Kopf
Senden Sie ihren Vorschlag an internet@rbb-online.de.

Unter den richtigen Einsendungen wird -- bei Ausschluss des Rechtswegs -- folgendes Buch aus dem RBB-Shop verlost:

"Pittiplatsch und seine Abenteuer als Billig-Praktikant in der RBB-Onlineredaktion"

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Mittwoch, November 03, 2010

Auf der Reichsautobahn durchs Glashaus

Thomas Strobl, Generalsekretär der CDU Baden-Württemberg, mag offenbar seinen Landesvorsitzenden, Ministerpräsident Stefan Mappus, nicht und hilft emsig dabei, dass die Landtagswahl so richtig in die Hose geht.

Laut spiegel.de spielte er auf die -- vom Sohn nicht verschiegene -- Vergangenheit des Vaters von Schauspieler Walter Sittler, dem Aushängeschild der Anti-Stuttgart21-Bewegung, an. Er veröffentlichte
in einem Newsletter ein Foto Sittlers und die Bildzeile: "Sein Vater war Nazi-Funktionär und arbeitete für Reichspropagandaminister Joseph Goebbels: Walter Sittler, Propagandist der S21-Bewegung."

Ähem, Herr Strobl, kennen Sie nicht Hans Filbinger? Na Sie wissen schon, ihr Wahlmann für die Bundesversammlung zur Bundespräsidentenwahl.

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Dienstag, November 02, 2010

Wahlen an der HU – Rechtswidrig, aber gültig

VG Berlin stellt Wahlverstoß fest, weist die Klage der Studierenden aber mangels Ergebnisrelevanz trotzdem ab

Heute hatte das Verwaltungsgericht Berlin über die Klage eines studentischen Mitglieds des Konzils der Humboldt-Universität zu Berlin zu entscheiden gehabt (Pressemitteilung RefRat HU). Dabei ging es um die Frage, ob in der anlässlich der Wahl einer Vizepräsidentin für Haushalt, Personal und Technik erfolgten Markierung von Stimmzetteln in der Statusgruppe der Studierenden ein Verstoß gegen die Grundsätze der freien, gleichen und geheimen Wahl zu sehen und deswegen diese Wahl für ungültig zu erklären ist.


Der Verhandlungsverlauf

Die 3. Kammer des Verwaltungsgerichts tagte in großer Besetzung (d.h. drei Berufsrichter_innen, zwei ehrenamtliche Richter_innen, sog. Schöff_innen). Dabei wurde zunächst die Frage erörtert, gegen wen die Klage zu richten sei: ob nach § 78 Abs. 1 Nr. 1 VwGO gegen die Humboldt-Universität als Körperschaft oder wegen der besonderen Betroffenheit in eigenen Zuständigkeiten gegen den Zentralen Wahlvorstand der HU als dessen Behörde, wie dies üblicherweise in Organstreitverfahren der Fall ist. Das Gericht hatte hier mit beachtlichen Nachdruck auf eine Klageumstellung hingewirkt, weil es sachdienlich sei, gegen den Zentralen Wahlvorstand (ZWV) direkt vorzugehen, der ursprünglich den Einspruch der Klägerin gegen das Wahlverfahren abgelehnt und diese damit auf den Klageweg verwiesen hatte (§ 61 Nr. 3 VwGO). Dem hatte sich die Klägerin trotz durchgreifender Bedenken angeschlossen, nachdem sie zunächst die Klage gegen die HU, vertreten durch den Zentralen Wahlvorstand gerichtet hatte.

Sodann wurde – auch angesichts des großen Publikums in didaktischer Ausführlichkeit – durch den Vorsitzenden thematisiert, welche Klageart bei Wahlanfechtungen statthaft sei. Die Klägerin hatte in einem Anfechtungs-/Verpflichtungsbegehren unter Aufhebung der Entscheidung des ZWV (Anfechtungsbegehren) beantragt, den ZWV zu verpflichten, die Wahl der Vizepräsidentin für ungültig zu erklären (Verpflichtungsbegehren). Die Gegenseite berief sich trotz des Grundsatzes der Subsidiarität darauf, dass Wahlanfechtungen als dem Organstreit ähnliche Verfahren als Feststellungsklage zu führen seien. Relevant ist diese "eher akademische Frage", wie der Vorsitzende Richter Wegener es beschrieb, nur, wenn an die Zulässigkeit der einen oder anderen Klageart besondere Voraussetzungen geknüpft sind, die zwischen den Parteien streitig verhandelt wurden.

Ein solcher Streit um die Zulässigkeitsvoraussetzungen der Klageanfechtung bestand jedoch nur hinsichtlich der (Selbst-)Betroffenheit der Klägerin. Diese gehörte als studentische Vertreterin dem Konzil der HU an, das jedoch inzwischen neu gewählt wurde. Ob die Klägerin auch dem neuen Konzil angehören würde, war zum Zeitpunkt der Hauptverhandlung noch unklar, da sie zwar nicht direkt gewählt wurde, aber möglicherweise als erste Nachrückerin im Falle eines Rücktritts zum Zuge käme. Die HU stellte sich auf den Standpunkt, dass sie als Nichtmitglied des neu zu konstituierenden Konzils mangels Betroffenheit in eigenen Rechten keinen Anspruch auf die Feststellung der Ungültigkeit von Wahlen habe. Die Klägerin wies demgegenüber darauf hin, dass der ZWV erklärt habe, auch zukünftig so wie angefochten zu verfahren, weswegen sie auch als Stellvertreterin im neu zu konstituierenden Konzil höchstwahrscheinlich erneut betroffen sein würde. Hier ließ das Gericht recht schnell deutlich werden, dass es bei der Überprüfung von Wahlen, an denen die Klägerin selbst teilgenommen habe, nicht durch den Lauf der Zeit zu einem Rechtsverlust kommen dürfe. Dies wäre nämlich der Fall, wenn die Klägerin sich nicht mehr auf die Wahlüberprüfung berufen dürfte, wenn sie dem neu konstituierten Wahlgremium nicht mehr angehört, die Neugewählten aber nicht berufen können, weil sie dem Gremium, dessen Wahl angefochten wurde, noch nicht selbst angehört haben. All das ist natürlich nur prozessrelevant, wenn das VG hier von einer Klage nach § 42 Abs. 1 VwGO (Anfechtungs- und/oder Verpflichtungsklage) ausginge und daher nach Abs. 2 diese nur dann zulässig ist, wenn die Klägerin geltend machen kann, in eigenen Rechten verletzt worden zu sein (Ausschluss der Popularklage). Demgegenüber wäre im Falle einer Feststellungsklage (nur) ein berechtigtes Feststellungsinteresse nachzuweisen, was jedenfalls – auch angesichts der für November ausstehenden Neuwahlen zweier weiterer Vizepräsident_innenposten – wegen einer zu befürchtenden Wiederholung des Wahlfehlers angenommen werden kann (rechtliches Feststellungsinteresse wegen Wiederholungsgefahr).

Im materiellen Teil der Auseinandersetzung ging es um die Frage, ob die Markierung der Stimmzettel in der Gruppe der studentischen Konzilsmitglieder ein Verstoß gegen den Grundsatz der feien, geheimen und gleichen Wahl darstellte. Das Gericht ließ bereits während der Verhandlung außer Zweifel, dass der Aufdruck "Studierende" auf den in der Statusgruppe der Studierenden ausgeteilten Stimmzetteln einer Durchbrechung des Wahlgeheimnisses gleichkommt. Die HU vermeinte diese Durchbrechung jedoch damit zu rechtfertigen, dass jedenfalls immer dann die Stimmzettel der Studierenden zu markieren sind, wenn es um die Wahl einer/eines Vizepräsident/in geht, in deren Aufgabenbereich Lehre und Studium gehören sollen oder auch (später) gehören könnte. Dahinter steht eine Bestimmung der Verfassung der HU, wonach wegen der besonderen Vertrauensnähe der/die Vizepräsident/in für Lehre und Studium nicht gegen die Stimmen aller Studierenden des Konzils gewählt werden dürfe. Das heißt, dass die Wahl ungültig ist, wenn – unabhängig vom sonstigen Wahlergebnis – eine entsprechende Kandidat/in nicht wenigstens eine Stimme aus der Statusgruppe der Studierenden erhält.

Während aber die HU die Stimmen der Studierenden "auf Vorrat" erhoben hat, um ggf. zu einem späteren Zeitpunkt feststellen zu können, ob einem gewählten Mitglied des Präsidiums der Verantwortungsbereich Lehre und Studium zusätzlich oder im Austausch zu seinem bisherigen Amtsbereich übertragen werden kann, weil nämlich mindestens eine studentische Stimme auf dieses Mitglied entfallen ist, ging es der Klägerin in ihrer durch das StudentInnenparlament unterstützten Klage darum, festzustellen, dass die Markierung von Stimmzetteln NUR dann zulässig ist, wenn auch tatsächlich ein/e Vizepräsident/in für Lehre und Studium gewählt wird. Das heißt, dass zunächst vor der Wahl diese Position entsprechend ausgeschrieben worden sein muss und bei der Wahl Klarheit darüber herrscht, dass es um die Wahl nicht irgendeines/einer Vizepräsident/in gehe, sondern um die Wahl des Mitglieds im Präsidium, die für Lehre und Studium zuständig sein soll. Schließlich bedeutet dies, dass eine spätere Übertragung dieses Verantwortungsbereichs auf ein anderes Mitglied des Präsidiums jedenfalls dauerhaft nicht erfolgen darf. Dies schließt zwar im Falle vorübergehender Verhinderung die VERTRETUNG durch ein anderes Mitglied des Präsidiums nicht aus, führt aber dazu, dass unverzüglich Neuwahlen anzusetzen sind, wenn bei Rücktritt oder dauerhafter Verhinderung die Geschäfte von der/dem Amtsinhaber/in für Lehre und Studium nicht wahrgenommen werden können.

Dementsprechend – so die Klägerin – sei die Regelung in der Wahlordnung der HU, wonach bei Wahlen zum/zur Vizepräsident/in für Lehre und Studium die Stimmzettel der Studierenden gesondert zu kennzeichnen sind, ausschließlich auf diese Wahl beschränkt. Diese Durchbrechung des Grundsatzes der geheimen Wahl durch einen gerechtfertigten Ausnahmetatbestand dürfe nicht dazu führen, dass in der Realität die Ausnahme zur Regel wird. Das aber sei der Fall, wenn bei jeder Wahl eines/einer Vizepräsident/in die Stimmen der Studierenden (auf Vorrat) gesondert ausgezählt werden.

Auf Nachfrage des Gerichts erläuterte der Prozessvertreter der Studierenden, Rechtsanwalt Matthias Trenczek, dass aufgrund der Markierung der Stimmzettel eine geheime Wahl insgesamt nicht stattgefunden habe. Denn "jedes Konzilsmitglied, das halbwegs zählen kann", könne aufgrund der Stimmabgabe der Studierenden ausrechnen, wie die anderen abgestimmt hätten. Nicht nur die zu erwartenden Restriktionen gegen die Statusgruppe der Studierenden insgesamt, sondern auch das Verhalten innerhalb der Statusgruppe, lasse das offen gelegte Wahlverhalten der Studierenden als ein imperatives Mandat erscheinen. Denn wenn der/die einzelne Wähler/in sich nicht sicher sein könne, dass das eigene Abstimmungsverhalten geheim bleibe, würde ein Abweichen innerhalb der Statusgruppe sofort offenbar. Unterstrichen wurde dieser Befund durch die Aussage der Klägerin, sie sei doch sehr überrascht gewesen, dass unmittelbar nach der Wahl die Gewählte (hier Beigeladene der Verfahrens) zu ihr gekommen sei und Verständnis dafür geäußert habe, dass sie für die Studierenden nicht wählbar gewesen sei.

Die Rechtsanwälte der HU mochten dieser Argumentation nicht folgen, da sie weiterhin auf der Geschäftsverteilungsautonomie des Präsidiums beharrten und mit Effizienzargumenten die Grundsätze der geheimen Wahl wirksam einzuschränken vermeinten. Jedenfalls aber, so legten sie nach, sei eine Verletzung des Wahlgeheimnisses für den Ausgang der Wahl völlig unerheblich gewesen, weil die Kandidatin, die bisherige Kanzlerin der TU, Frau Dr. Ulrike Gutheil (hier Beigeladene des Verfahrens), eine Mehrheit der Stimmen erhalten habe, obwohl alle Studierenden gegen sie gestimmt hätten. Damit hätte der Wahlfehler (die Verletzung des Wahlgeheimnisses) auf den Ausgang der Wahl gar keinen Einfluss gehabt (Ergebnisrelevanz), weil die Kandidatin auch dann gewählt worden wäre, wenn die Stimmzettel nicht markiert worden wären.

Der Anwalt der Klägerin wollte es auf die Ergebnisrelevanz des Wahlfehlers nicht ankommen lassen. Die Verletzung so fundamentaler Grundsätze wie jenen der freien und geheimen Wahl sei so schwerwiegend, dass "die Fehler dazu geführt haben, dass gar kein Wahlergebnis im Sinne bürgerlich-demokratischer Wahlvorstellungen" vorliege, die Wahl vielmehr mit einem Makel von solcher Schwere behaftet sei, dass von einer Nichtwahl ausgegangen werden müsse. Die HU verwies hiergegen auf eine entsprechende Regelung der Wahlordnung, wonach der Einspruch gegen die Wahl nur dann begründet sei, wenn der geltend gemachte Wahlfehler Einfluss auf die Mandatsverteilung hatte. Der Anwendung dieser Bestimmung lässt sich nun entgegen halten, dass sie offensichtlich auf Listenwahlen zugeschnitten sei, wo es innerhalb der selben Statusgruppe mehrere Sitze eines Gremiums unter den konkurrierenden Listen dieser Statusgrupoe zu verteilen gilt, daher für Wahlen zum Amt eines/einer Vizepräsident/in keine Anwendung finde. Die Prozessvertreter der HU gingen demgegenüber jedoch von einer unbeabsichtigten Regelungslücke aus, weswegen der Analogieschluss zulässig sei, die Regelung also selbst dann auf Wahlen zum Präsidium angewendet werden könne, wenn sie ursprünglich nur für Listenwahlen vorgesehen war.

Nachdem deutlich wurde, dass das Verfahren in der Hauptsache (Klage) noch am selben Tage durch Entscheidung des Gerichts abgeschlossen werden würde, haben die Parteien das parallel gegen die Bestellung der Beigeladenen zur Vizepräsidentin für Haushalt, Personal und Technik geführte Verfahren auf Eilrechtsschutz übereinstimmend für erledigt erklärt, weswegen das Gericht hier nur noch über die Kosten zu entscheiden hatte.

Die Entscheidung

So sachlich analytisch und didaktisch klar, wie die 3. Kammer des VG die Verhandlung geführt hatte, so widersprüchlich stellt sich nun ihre Entscheidung dar. Die Kammer ging zunächst davon aus, dass der Zentrale Wahlvorstand der richtige Beklagte und die Klägerin auch dann klagebefugt ist, wenn sie dem zukünftigen Konzil nicht stimmberechtigt angehört: Es komme darauf an, dass durch den Amtswechsel keine Rechtsschutzlücke entsteht. Darauf, ob es sich um eine Anfechtungs- bzw. Verpflichtungsklage oder um eine als Organstreit zu verstehende Feststellungsklage handele, ob also die Feststellung des Wahlergebnisses selbst oder aber wenigstens die Ablehnung des Wahleinspruchs der Klägerin als Verwaltungsakt angesehen werden könne, komme es nicht an, weil jedenfalls die richtigen Anträge gestellt wurden und die Entscheidungsvoraussetzungen im Übrigen für jede der in Betracht kommenden Verfahrensarten vorlägen.

Auch stellt die Kammer eindeutig einen Verstoß gegen den Grundsatz der freien und geheimen Wahl fest, der nicht durch die Regelungen der Wahlordnung gerechtfertigt werden kann. Die Durchbrechung dieses Geheimhaltungsprinzips durch eine bei den Wahlen der/des Vizepräsident/in für den Verantwortungsbereich Lehre und Studium von der Wahlordnung vorgesehene Markierung der Stimmzettel in der Statusgruppe der Studierenden sei ausschließlich bei dieser Wahl als absolute Ausnahme zulässig, weil und insoweit das Stimmverhalten der Studierenden für die Gültigkeit der Wahl im Sinne eines Vetos relevant sei. Ein Erfassung des studentischen Stimmverhaltens auf Vorrat sei unzulässig. Damit wurde der Wahlrechtsverstoß durch das Verwaltungsgericht eindeutig festgestellt und die Praxis des Zentralen Wahlvorstandes für rechtswidrig erklärt.

Allerdings konnten sich die Richter_innen nicht dazu durchringen, den Wahlfehler für so gewichtig zu halten, dass es auf die Ergebnisrelevanz des Verfahrensfehlers für die Frage der Gültigkeit der Wahl nicht ankommen würde. Vielmehr – so der Vorsitzende, ohne das weiter auszuführen, wohl weil das Abstimmungsverhalten innerhalb der Kammer hier keine eindeutige Entscheidung möglich machte – komme auch bei der Verletzung des Geheimnisgrundsatzes für die Feststellung der Gültigkeit oder Ungültigkeit einer Wahl darauf an, ob die Rechtsverletzung sich im konkreten Wahlergebnis hätte niederschlagen können. Das wollte das Gericht in diesem Fall nicht annehmen.

Allerdings stellte der Vorsitzende klar, dass wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache und der Tatsache, dass die HU in ihrem Vortrag deutlich gemacht habe, sich auch zukünftig rechtswidrig zu verhalten, die Berufung zum Oberverwaltungsgericht zugelassen würde. Damit kann in zweiter Instanz über die Gültigkeit oder Ungültigkeit der Wahlen gestritten werden.

Bewertung

Das Verwaltungsgericht hat mit seiner Entscheidung den Ball an die Hochschulen und die Studierenden zurück gegeben. Nunmehr werden sich der Präsident der Humboldt-Universität, Prof. Jan-Hendrik Olbertz, und der Kuratoriumsvorsitzende, Prof. Rolf Emmermann, überlegen müssen, ob sie die Bestellung von Frau Dr. Ulrike Gutheil zur Vizepräsidentin für Haushalt, Personal und Technik bei der Senatsverwaltung wirklich beantragen wollen. Denn nicht nur ist ihre Wahl noch immer nicht rechtskräftig bestätigt, vielmehr ist die Wahl von Frau Gutheil als rechtswidrig, aber nicht ungültig durch das Verwaltungsgericht festgestellt worden. Eine Berufungsentscheidung des Oberverwaltungsgerichts könnte auch diesen letzt genannten Rechtsschein noch zerstören.

Zugleich stellt sich jedoch die Frage, welches politische Gewicht eine Vizepräsidentin innerhalb und außerhalb der Universität hat, an deren Sessel weiterhin der Makel klebt, durch eine rechtswidrige Wahl ins Amt gekommen zu sein. Eine so schlecht legitimierte Vizepräsidentin dürfte bei Verhandlungen über den Haushalt der HU oder die Zuweisungssummen des Senats in den Landeshochschulverträgen aus Sicht der Senatsverwaltung eine gut erpress-, ääh dirigierbare Verhandlungspartnerin sein.

Rechtspolitisch bedeutet das Urteil in der Konsequenz, dass Wahlen zum Präsidium der Universität, soweit dabei Rechte der Studierenden oder nicht-professoralen Hochschulgruppen verletzt werden, selbst bei Vorliegen einer Verletzung so eklatanter Wahlgrundsätze, wie sie das VG festgestellt hat, in der Regel nicht ungültig sein können. Denn die in den Gremien bestehende Mehrheit der Professor_innen kann, weil sie immer eine Mehrheit der Stimmen herbeiführen kann, zukünftig gleich untereinander klären, wer welchen Posten bekommen soll. Auf die Stimmen der übrigen Statusgruppen kommt es dann nicht mehr an, wenn diese nicht durch die Legitimität des Verfahrens besonders geschützt werden. Sollte die Entscheidung des VG in dieser Frage der Ergebnisrelevanz eines Wahlrechtsverstoßes durch die Rechtsprechung Bestätigung finden, käme dies einer Abschaffung der Gruppenuniversität und einer Rückkehr zur Ordinarienhochschule gleich.

Es kann dem Verwaltungsgericht kaum unterstellt werden, damit einen Beitrag zur Exzellenzinitiative leisten zu wollen, der ähnliche Vorstellungen von Hochschulselbstverwaltung zu Grunde liegen. Einen solchen Beitrag wollte die 3. Kammer vor allem dadurch leisten, dass sie das Verfahren im Eiltempo (nach nur drei Monaten) zum Abschluss gebracht hat, um die Handlungsfähigkeit der HU zu gewährleisten.

Trotz des herben Ergebnisses, zwar in der Sache Recht zu haben, aber nicht zu bekommen, ist die Verhandlungsposition der studentischen Vertreter_innen nach Ausgang des Verfahrens besser denn je. Sie können warten, wie sich die Verantwortlichen der HU verhalten und je nachdem entscheiden, ob sie das Verfahren weiter führen wollen, wenn diese sich nicht einsichtig zeigen – die Kosten trägt am Ende sowieso die Uni.

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