So. (Presto)
Nach dem zweiten tag mit sitzungsvertretungen sollte ich mit diesen anglegenheiten nichts mehr zu tun haben. Puh. Immerhin. Wieso, weshalb, warum? Nun, ich hatte mich ein wenig daneben benommen bzw. bin zu sehr aus der ordentlichen staatsanwaltlichen rolle gefallen bzw. hatte meine meinung an einer stelle gesagt, an die sie angeblich nicht gehört.
Insgesamt waren es vier verhandlungen. Daß ich bei den beiden fällen, wo es bis zum urteil kam, in meinem schlußplädoyer immer lächerlich niedrige geldstrafen gefordert habe, war vermutlich noch nicht so schlimm. Äußerst unschön fand der richter aber, daß ich vor dem verlesen der anklageschrift – das ist das erste, womit die staatsanwaltschaft zu wort kommt – mich vorstellte und darauf hinwies, daß ich keine staatsanwältin bin, sondern referendarin und daher die anklagetätigkeit auch nicht aufgrund einer eigenen entscheidung oder vorliebe, sondern als verpflichtenden teil der juristischen ausbildung ausübe. Dieser hinweis war wohl ganz böse. Da könnten angeklagte ja auf ganz komische gedanken kommen, daß da jemand seinen job nicht ordentlich macht. (Kann mir kaum vorstellen, daß jemand wegen einer zu lax agierenden staatsanwältin ein rechtsmittel einlegen würde, aber egal.) Insofern verdeutlichte mir der richter nach den ersten beiden verhandlungen sehr ernsthaft, daß ich das doch bitte lassen möge. Ich bin ja emotional immer auf ein bißchen wohlwollen meiner umgebung angewiesen und hatte außerdem für den rest der verhandlungen noch etwas vor, außerdem war der richter bis dahin eigentlich recht okay, und so habe ich tatsächlich kleinbeigegeben bzw. mich einschüchtern lassen und mich nur noch als „Referendarin XY“ vorgestellt. Auch dies kommentierte der protokollführer immer noch mit grummeln. Naja, in der letzten verhandlungspause hatte er sich noch empört: „Das nächste mal sage ich, daß ich aus überzeugung hier bin.“ Hätte ich gut gefunden, so eine art von individuellem austausch. Nur daß protokollführerInnen gar nichts zu sagen haben in der verhandlung. Überhaupt schien der sich viel angegriffener zu fühlen als der richter. Er sagte mir in den verhandlungspausen mehrmals, daß ein anderer richter ja gleich nach der ersten verhandlung meine ausbilderin angerufen und dafür gesorgt hätte, daß jemand anders die sitzungsvetretung übernimmt. Und daß er das nicht verstehen könne, was ich mache, das habe er in seinen 12 jahren tätigkeit noch nicht erlebt. Der mensch war richtig aufgebracht. An kommunikation war er ganz offensichtlich nicht interessiert, sodaß ich gar nicht erst versucht habe, ihm irgendwas zu erklären. Merke: gefährlicher als angegriffene autoritäten sind diejenigen, die von den angegriffenen autoritäten abhängig sind.
Der richter dagegen war sehr souverän, wohl einer der liberaleren sorte. Obwohl es ihm sehr ernst war, daß ich in der verhandlung meine distanz zum system nicht zeigen dürfe, nahm er es mit humor und wies mich wirklich amüsiert darauf hin, daß es bei einigen anderen verfahren sonst zu sehr witzigen situationen kommen könnte: „Das sind angeklagte, die Ihnen politisch eher unsympathisch sein werden. Die leugnen die existenz der Bundesrepublik Deutschland und sehen Deutschland als unter besatzung stehend an, leugnen die gerichtliche kompetenz usw. Stellen Sie sich mal vor, die treffen dann auf Sie!“ Zugegeben, eine interessante konstellation. Jedenfalls war diese art der indirekten distanzierung schon offensichtlich schon ein schwerer angriff auf die integrität der institution.
In einer befragung sagte der richter der angeklagten, sie müsse schon ein bißchen was dafür tun, um ihre aussagen zu untermauern und ihre unschuld zu beweisen. Daraufhin erlaubte ich mir, ihn zu unterbrechen und der zeugin nochmal den nemo-tenetur-grundsatz und die unschuldsvermutung zu erläutern. („Nemo tenetur se ipse accusare“ – Niemand ist gehalten, an der eigenen strafverfolgung mitzuwirken. Und angeklagte müssen nicht ihre unschuld beweisen, sondern das gericht ihre schuld, andernfalls gilt die unschuldsvermutung.) Auf diese referendarische spitzfindigkeit reagierte er auch vergleichsweise langmütig, erläuterte mir später nochmal, daß man ja „das gesetz auch auslegen muß“ und daß es sonst ja fast nie verurteilungen geben könne. Weiß ich ja. Stört mich auch nicht.
Mit derlei kleinigkeiten gingen dann drei verhandlungen über die bühne. Und ich war verflixt unsicher! Das ist gar nicht so einfach, so allein.
In der letzten verhandlung kamen dann die hübschen aspekte von haft ins spiel. Ich hatte einen angeklagten vor mir, der zur zeit wegen einer anderen sache außerhalb Berlins im knast sitzt und dessen „verschubung“ nach Berlin ca. eine woche gedauert hat. „Verschubung“ ist das nette wort für gefangenentransporte, und die passieren nicht direkt von A nach B, nein, das wäre ja zu kostspielig. Stattdessen machen die gefangenenbusse die runde im gesamten bundesgebiet, und zwischendurch gibt’s halt immer wieder unterbrechungen an den einzelnen knästen. Das hat dann bei dem angeklagten eine woche gedauert, von Oldenburg nach Berlin. Und bei den zwischenhalten immer schön 23 stunden am tag einschluß, also keinen kontakt zu irgendwem. Allein die vorstellung, da jemanden vor mir zu haben, der gerade wie frachtgut herumgeschoben wurde, und für ihn dann auch noch eine weitere freiheitsstrafe beantragen zu müssen, sorgte bei mir für körperliches unbehagen.
Auf der suche nach anknüpfungspunkten für meine gedanken - ich habe oft den eindruck, daß es sich lohnt, eher "systemimmanente" anknüpfungspunkte zu suchen, daß die kritik dann manchmal ein bißchen verstanden wird - bin ich auf § 46 I S.2 StGB gestoßen, wonach die folgen der strafe für den täter auch bei der strafzumessung zu berücksichtigen sind. So habe ich innerhalb der beweisaufnahme den angeklagten auch zu den haft- und transportbedingungen befragt: Er hat einen arbeitsplatz, toll, er baut wasseruhren zusammen. Für ihn sinnvolle sozialarbeiterische angebote gibt’s nicht, die vorhandenen gesprächsgruppen sind für drogenabhängige, er hat aber andere probleme. Usw. Währenddessen der verteidiger: kopf auf die hand gestützt, ernsthaft-grüblerische miene – das „Was will die frau?“ stand ihm ins gesicht geschrieben. Der richter schien meine fragen eher langweilig zu finden: „Wir wissen doch alle, wie es im strafvollzug aussieht.“ Der protokollführer, ohnehin sauer, war vermutlich kurz davor, die beherrschung zu verlieren: „Wollen Sie auch noch wissen, was es zum mittagessen gab?“ Da hab' ich mich dann auch nicht getraut, das ganze auszudehnen. Hätte ohnehin nix gebracht, wenn alle geistig zumachen.
Die tat, um die es ging, war diebstahl und unbefugte verwendung einer ec-karte, außerdem unterschlagung, und das alles innerhalb einer eher losen WG. Motiv unklar. Meine ausbilderin tippte beim vorherigen besprechen der akte sofort auf heroin-abhängigkeit, das sei typisch für taten innerhalb eines haushalts. Aber der angeklagte wollte nix dazu sagen, er meinte nur, sein leben sei ins chaos geraten, und er hätte wenig geld gehabt, aber welches gebraucht. Aus den akten ging hervor, daß er zeitweise in einer obdachlosenunterkunft gewohnt hatte. Jedoch: Was hinter einer tat steckt, ob der täter vielleicht ganz dringend irgendeine form von hilfe (therapeutische oder was auch immer) braucht, die es im knast bestimmt nicht gibt, oder was sonst der grund für merkwürdiges verhalten ist – wen interessiert das vor gericht schon?
Naja, das übliche strafmaß für die tat, bei den vorstrafen des angeklagten, wären mindestens ein paar monate freiheitsstrafe gewesen. Aber abgesehen davon, daß ich ohnehin keinen „dienst nach vorschrift“ ableisten wollte, kann ich auch ganz bestimmt keine freiheitsstrafe beantragen oder auch nur stumm an so einem urteil mitwirken. Bzw. ich hätte mir das bestimmt beibringen können. Aber ich glaube, daß es verkehrt ist, sich gewissensregungen abzuerziehen, und daß sowas eineN auch kaputt macht.
Und deshalb habe ich bei meinem schlußvortrag ausgeführt, weshalb ich entgegen der rechtsprechung „nur“ auf eine geldstrafe plädiere (einen freispruch zu beantragen hätte vermutlich den verständnishorizont des richters gesprengt, und ich wollte ja, daß er mir zuhört), daß ich also ganz prinzipiell gegen freiheitsstrafen bin, und habe das mit kurzen zitaten aus einem kriminologie-lehrbuch untermauert (Albrecht: „sozialer Tod“, aus individualpräventiver sicht „bestenfalls neutral, schelchtestenfalls kontraproduktiv“). Solche erwägungen kannst Du Dir nirgendwo sonst leisten außer in der staatsanwaltschaftsstation. EinE verteidigerIn würde ihrem mandanten damit nur schaden, das weiß ich.
Der protokollführer konnte währenddessen ein kurzes, halb-hysterisches lachen nicht unterdrücken. Der richter verzog keine miene. Und der verteidiger wußte endlich, worum es mir ging. Er begann sein plädoyer dann auch mit den worten „Ja, es ist für die verteidigung schwierig, wenn sie von der staatsanwaltschaft links überholt wird.“ und knüpfte kurz an meiner argumentation an, bescheinigte mir seine „hochachtung vor ihrem mut“ (das tat gut, mal ein positives feedback zu bekommen in diesem umfeld!) und schwenkte dann natürlich zu einem normal-real-pragmatischen plädoyer auf eine niedrige freiheitsstrafe, weil der angeklagte sich ja bemüht, brav im knast arbeitet usw. Das urteil war dann auch vergleichsweise niedrig.
Klar, das war meinerseits nix großes. Daß ich keine auswirkungen auf das strafmaß haben würde, das wußte ich auch vorher schon. Aber ich habe mich immerhin nicht der simplen logik des „Da mußt du halt durch.“ gebeugt, auch um meiner selbst willen. Und allein das war richtig, glaube ich. Und für ein bißchen irritation habe ich auch gesogt, wie ich dann noch mitbekommen habe.
(Allegro)
So weit, so gut. Der verhandlungsteil war erledigt. Und ich total froh, daß das erstmal überstanden war, ohne richterliche explosionen und ohne steine im bauch. Jetzt standen „nur“ noch die dienstlichen auseinandersetzungen an.
Der richter war immer noch freundlich, aber meine grundsatzüberlegungen zu freiheitsstrafe waren wohl der tropfen (oder schwall) gewesen, der das faß zum überlaufen brachte. Jedenfalls teilte er mir mit, daß er sich jetzt doch genötigt sähe, meine ausbilderin anzurufen und anzuregen, daß ich von künftigen sitzungsvertretungen verschont bleiben möge. (Dabei ging es ihm gewiss nicht um mein seelenheil, sondern um das propere image der strafrechtspflege, das ja nicht von jeder dahergelaufenen referendarin angekratzt und hinterfragt werden darf.) Der protokollführer teilte mir nochmal – im brustton der empörung, persönlich schwer beleidigt – mit, daß er mein auftreten nicht verstehen könne. Und der verteidiger kam mit dem richter ins gespräch, vom grundsätzlichen einstieg („Das erinnerte ja an die 70er jahre“) hin zu details der haftbedingungen. Immerhin. Ach ja, der angeklagte konnte wegen der überfüllten busse aus Berlin auch erst anderthalb wochen nach der verhandlung wieder zurück-“verschubt“ werden. Was bedeutet, daß er vielleicht seinen arbeitsplatz verliert. Tja, pech für ihn.
(Adagio)
Auf dem weg durch's gericht habe ich mich mit ihm dann noch ein wenig unterhalten. Er war sehr nett, wohl von der sorte, die idealismus erst mal gut findet, aber auf die schranken hinweisen und in pragmatischere bahnen lenken will. Obwohl, wie er meinte, er ja auch als verteidiger das system am leben erhalten und dadurch unterstützen würde. Wollte er mir jetzt sagen, daß ich konsequenterweise auch keine verteidigerin werden dürfe? Der hinweis wäre jetzt nicht unbedingt nötig gewesen, das sind keine so neuen überlegungen für mich, und konsequenz halte ich in einer komplexen gesellschaft für einen sehr relativen begriff. Aber egal, ich fand's total gut, daß auch jemand anders mal ein paar grundsätzliche fragen anspricht. Ermutigend war natürlich auch seine einschätzung, daß ich den richter – der sich selbst wohl als 68er und wegen seiner relativ kritischen prüfung von haftfragen schon quasi als institutionalisierten schutz von gefangenenrechten sehen würde – mal wieder zum nachdenken gebracht hätte.
(Prestissimo)
Und dann stand nur noch das gespräch mit meiner ausbilderin bevor. O-je! Angst. Es war klar, daß ich ihr erzählen mußte, was ich angestellt hatte: Zum einen wegen des mit ihr zu besprechenden sitzungsvermerks. Und zum anderen um sie auf den anruf des richters vorzubereiten. Als ich ihr zimmer betrat mit den worten, daß sie mir sicher die leviten lesen werde, war sie zunächst noch fröhlich und fragte im spaß, ob ich sachen ohne erlaubnis eingestellt hätte. Das konnte ich ja nur verneinen, schilderte dann aber mein tatsächliches „fehlverhalten“, mitsamt der prinzipiellen erwägungen. Das muß, um es mal neutral zu formulieren, eine ziemliche überraschung für sie gewesen sein. Denn bisher hatte ich zwar schon immer mal "kritische" fragen gestellt, aber halt keine so grundsätzlichen. Mensch weiß ja in so einer institution nicht, was geht und was nicht, womit wieviele probleme entstehen und ob sie sich lohnen. Na jedenfalls war sie einigermaßen konsterniert. Ich schilderte ihr ganz knapp meine gründe, insbesondere meine ablehnung von haftstrafen. Ihre frage darauf "Denken Sie, daß das der richtige ort dafür ist?" Verflixt, macht es euch nicht so einfach! Auf befehlsketten zu verweisen, selbst wenn sie demokratisch sind, das kann doch das eigene denken und bewerten nicht ausschalten. Ich habe ihr daraufhin erklärt, daß ich, wenn ich michdenn an diesem ort - hinter dem tisch der staatsanwaltschaft - befinde, nichts anderes sagen kann, daß das für mich auch eine gewissensfrage ist. Das wiederum hat sie zumindest ernstgenommen, d.h. sie war etwas vor den kopf gestoßen und teilte mir auch explizit mit, daß sie diesen indirekten vorwurf nicht so lustig fand. Was ich in der situation sehr anstrengend, aber auch angemessen fand. Immerhin tat sie mich nicht als weinerliche idiotin ab.
Um etwas sachlicher zu werden, war dann erstmal das ausfüllen der sitzungsvermerke dran, schreibarbeit. Während ich mit den blättern dafür beschäftigt war, rief dann auch prompt der richter an. Ich überlegte kurz, ob ich ihr anbieten sollte, den raum zu verlassen, damit sie ungestörter telefonieren kann, fand das dann aber doch übertrieben. Bei den schilderungen des richters lachte sie manchmal freundlich-amüsiert, was mich sehr entspannte. Ich bin halt manchmal ein weichei, und der tag war schon anstrengend genug. Als ergebnis des telefonats dann ihre frage: "Ich verstehe Sie richtig, daß es auch in Ihrem interesse ist, wenn Sie keine weiteren sitzungsvertretungen mehr bekommen?" Kurzes überlegen meinerseits, ja, durchaus. Ein paar dienstliche drohgebärden kamen noch. "Wir müssen ja auch gucken, daß wir hier keine strafvereitelungen begehen. Aber das war das, was Sie getan haben, noch nicht, denke ich." "Disziplinarmaßnahmen gegen Sie kann ich nur anregen, wenn Sie etwas tun, was Sie eindeutig nicht dürfen" - hauptsächlich sachen einstellen oder rechtsmittelverzicht erklären. Das hat mich dann doch noch eingeschüchtert. Weil ich ja den eindruck hatte, sehr ängstlich gewesen zu sein und mich deshalb vergleichsweise moderat verhalten zu haben. Naja, und damit war's das - für diesen tag. Die weitere besprechung hatten wir auf die nächste woche verschoben.
(ritardando)
Nach dem verlassen des gerichtsgebäudes fiel nach und nach die anspannung von mir ab. Mann-oh-mann, so ein bißchen symbolisches aufbegehren, und schon so verunsichert! Ich hatte ein winziges bißchen über die wirkung von apparaten - und über die beschränkten, aber doch vorhandenen eigenen fähigkeiten - gelernt. Ein wenig sollte noch folgen.
Labels: Gelebte Misanthropie